26.10.2010

Innovation durch Werkstoffe und Materialien

Die Physik ist unverzichtbar für die Simulation und Untersuchung von Materialeigenschaften.

Physik Journal – Die Physik ist unverzichtbar für die Simulation und Untersuchung von Materialeigenschaften.

Henning Kagermann Ob neue Batterien für Elektro­fahrzeuge, maßgeschneiderte Halbleiter für die organische Elektronik oder Energiesparen im Gebäudebereich: Werkstoffe sind die Basis von Innovationen. Auch wenn sie im täglichen Umfeld eher unspektakulär erscheinen, ist die Werkstoffbranche ein heimlicher Riese: 70 Prozent aller Produkte basieren auf neuen Werkstoffen; sie kommt in Deutschland auf einen Umsatz von einer Billion Euro im Jahr und beschäftigt fünf Millionen Menschen.

Auch und gerade in Deutschland wird hier hervorragende Arbeit geleistet, aber um die öffentliche Wahrnehmung zu erhöhen, bedarf es einer verstärkten Öffentlichkeitsarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft, nicht zuletzt, um junge Leute auf diese spannenden Perspektiven hinzuweisen. Dabei ist die Materialphysik, die an einigen deutschen Universitäten etabliert ist, integraler Bestandteil der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik. Physikerinnen und Physiker findet man aufgrund ihrer breiten Ausbildung praktisch in allen Werkstoffindus­trien, ob bei der Stahlherstellung, der Aluminiumverarbeitung oder in der Automobiltechnik. Dies reflektiert zugleich die Einsicht der Industrie, dass es für die Werkstoffherstellung und -verarbeitung, etwa bei der Simulation oder Untersuchung von Material­eigenschaften, unverzichtbar ist, die physikalischen Grundlagen zu beherrschen und die entsprechende Sichtweise zu nutzen.

Abb.: Prof. Dr. Henning Kagermann, Präsident der acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften. Der theoretische Physiker war von 1998 bis 2009 Vorstandsvorsitzender der SAP AG.

Neueste Innovationen setzen ­natürlich die entsprechenden Werkstoffe voraus. In diesem Zusammenhang sind besonders die begrenzten Vorräte der sog. Gewürzmetalle wichtig. Diese Metalle werden in kleinen Mengen in Legierungen (u. a. für Computer­anwendungen) verwendet und sind so gut wie nicht recycelbar. Ihre Verfügbarkeit ist also eine wichtige Voraussetzung, wenn wir die Vision eines „Ubiquitous Computing“ realisieren wollen. Die Rohstoffverfügbarkeit spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle beim Wettlauf um den Zukunftsmarkt Elektromobilität, Stichwort Seltene Erden und Lithium.

Der direkte Zusammenhang zwischen Werkstoffen und Innovation macht dieses Thema im Übrigen auch zu einem Schlüsselthema der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften. Das Aufzeigen von Innovations­potenzialen sowie die Beratung von Gesellschaft und Politik in Innovationsfragen sehen wir als zentrale Aufgaben unseres Netzwerks von rund 340 Wissenschaftlern und mehr als 50 Unternehmen. Diese beiden „Säulen“ bilden eine Plattform für den Wissenstransfer zwischen Wissen­schaft und Wirtschaft. Angesichts der Bedeutung, die die Werkstoffe für Deutschlands Zukunft haben, widmen wir ihnen eines von derzeit elf Themen­netzwerken.

Aus diesem Netzwerk ist vor gut einem Jahr die Stellungnahme „Materialwissenschaft und Werkstofftechnik in Deutschland“ entstanden, in der wir Maßnahmen empfohlen haben, mit denen Deutschland seine weltweit starke Position festigen kann. Dazu gehört, dass die Studiengänge zu Materialwissenschaft und Werkstofftechnik ein klares Profil haben müssen, aus dem ihre Zukunfts­orientierung hervorgeht, damit die Studierenden auf sie aufmerksam werden. Generell wird ein Ausbau der Öffentlichkeitsarbeit empfohlen, um die Relevanz der Werkstoffe und Werkstofftechnologien für Innovationen herausstellen.

Gegenwärtig erarbeitet acatech eine themenfokussierte Stellungnahme zur Situation der organischen Elektronik in Deutschland, die eine Bestandsaufnahme, Bewertung und Empfehlungen umfassen wird und Anfang 2011 veröffentlicht werden soll. Die Anwendung der organischen Elektronik geht wiederum von physikalischer Grundlagenforschung aus, speziell der Materialphysik. Insofern sind Physikerinnen und Physiker besonders gefragt, sich dieser Aufgabe anzunehmen, um ein grundlegendes Verständnis von Materialfunktionen durch Modellierung und Simulation zu erlangen und Analytik und Messtechnik weiter zu entwickeln.

Auch der Koalitionsvertrag der Bundsregierung vom Oktober 2009 betont die besondere Rolle von Materialwissenschaft und Werkstofftechnik als Innovationsmotor. Dies halte ich für ein ausgesprochen positives Signal. Die Akademie unterstützt die Regierungspläne, dieses Feld gezielt auszubauen. Dazu hat die acatech ihre Expertise bei der Formulierung eines 10-Punkte-Programms des BMBF mit eingebracht, welches im Sommer 2010 veröffentlicht wurde. Gefordert ist nun eine interdisziplinäre Verflechtung von Materialwissenschaft und Werkstofftechnik mit der Produktionstechnik einerseits und dem Rohstoffmanagement andererseits. Hier werden insbesondere Physikerinnen und Physiker gefragt sein, diesen Brückenschlag zu wagen.

Henning Kagermann

Quelle: Physik Journal, November 2010, S. 3


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