Mit hundert Kilogramm zieht und drückt ein elektrodynamischer Schwingungserreger an dem zwanzig Meter langen „SmartBlades-DemoBlade“. Das Rotorblatt schwingt mit einem Ausschlag von fünfzig Zentimetern an der Blattspitze. Diese Bewegungen mit allen Materialbelastungen im Rotorblatt werden von Wissenschaftlern des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt genau analysiert. Dazu haben die Forscher dreihundert Beschleunigungs- und zweihundert Dehnungssensoren direkt am Rotorblatt angebracht. Mit den so aufgenommenen Daten lassen sich die Verformungen des Rotorblatts millimetergenau nachvollziehen und mit dem Simulationsmodell abgleichen. Mit den innovativen Schwingungstests erhalten die Forscher Daten zum Schwingungsverhalten von Rotorblättern in einer bislang nicht erreichten Güte und Qualität. Die Tests wurden im Rahmen des Forschungsprojekts „SmartBlades2“ beim Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesysteme durchgeführt. In dem Projekt entwickeln Forschungseinrichtungen gemeinsam mit Industriepartnern Technologien für größere und leistungsstärkere Windkraftanlagen. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert.
Abb.: Fünfhundert Sensoren messen die Schwingung direkt am Rotorblatt. (Bild: DLR; CC-BY 3.0)
Ursprünglich kommt diese Methode für Schwingungstests aus der Luftfahrt und wurde beim DLR-Institut für Aeroelastik für Standschwingungsversuche an Flugzeugprototypen entwickelt. Seine Erfahrungen hat Yves Govers vom DLR-Institut für Aeroelastik auf Windkraftanlagen übertragen und in Bremerhaven das Demonstrationsrotorblatt untersucht. „Wir kennen den Bauplan des neu entwickelten Rotorblatts und haben sein Verhalten vorher berechnet. Mit den Sensoren haben wir die Möglichkeit, die tatsächliche Strukturdynamik im Blatt zu messen. So können wir unser Computermodell an die Realität anpassen und Rotorblätter besser konstruieren“, so der Forscher.
Auf dem Prüfstand in Bremerhaven stand ein im Projekt „SmartBlades“ entwickeltes Rotorblatt. Wissenschaftler des DLR-Instituts für Faserverbundleichtbau und Adaptronik haben das zwanzig Meter lange Rotorblatt am Zentrum für Leichtbauproduktionstechnologie am DLR-Standort Stade gefertigt. Neu daran ist eine geometrische Biege-Torsionskopplung. Dafür wurde die Blattgeometrie sichelförmig ausgelegt: Bei Wind biegt sich das Blatt nicht nur nach hinten, sondern rotiert dabei ins sich. Das Blatt kann damit seine Geometrie selbstständig an die Windverhältnisse anpassen, in dem es sich bei höheren Windgeschwindigkeiten verwindet und dem Wind weniger Angriffsfläche bietet. So können Lasten an der Wurzel des Blattes automatisch reduziert werden.
Seit Dezember 2017 wird das neu entwickelte Rotorblatt auf Herz und Nieren geprüft. Zunächst in einem Extrem- und Betriebslasttest auf dem Rotorblattprüfstand beim Fraunhofer-IWES, der zeigte, ob Schwächen oder gar Schäden auftraten. Mit dem nun erfolgten DLR-Strukturdynamiktest haben die Wissenschaftler ein besonderes Augenmerk darauf, ob die Biege-Torsionskopplung funktioniert und sich das Blatt wie in den Vorausberechnungen verwindet. „Vor allem durch die hohe Sensordichte auf dem Blatt und die speziell angepassten Schwingungserreger können wir die Struktur- und Materialverformungen sehr exakt bestimmen“, sagt Govers.
Die Methode wurde ursprünglich entwickelt, um die Flattersicherheit eines Flugzeugs zu überprüfen und nachzuweisen. Flattern ist ein gefährlicher Zustand, weil sich die Schwingungen aufaddieren können, indem immer mehr Energie aus der Umströmung aufgenommen wird. Flattersicherheit wird zunehmend auch für Windenergieanlagen ein Thema. „Vor allem bei Offshore-Windkraftanlagen werden Rotorblätter in Zukunft größer und gleichzeitig leichter“, sagt Govers. „Damit steigt die Gefahr von Flatterschwingungen am Rotorblatt und Anlagenhersteller werden einen stärkeren Fokus auf die aeroelastischen Effekte legen müssen.“ Mit dem Anbringen eines Schwingungserregers, der am Blatt befestigt ist, können die DLR-Forscher zudem auch die Schwingungen eines nur an Gummischleifen aufgehängten Rotorblatts messen. So lassen sich die Eigenfrequenzen eines Blatts sehr präzise feststellen.
Die Biege-Torsionskopplung mit der sichelförmigen Blattgeometrie ist eine von mehreren Technologien, die im Forschungsprojekt „SmartBlades2“ weiterentwickelt werden. Ziel der Forschungsarbeiten sind größere und effizientere Rotoren, die eine höhere Ausbeute der Windenergie erlauben und die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen in der Windenergiebranche stärken. Weitere im Projekt untersuchte Technologien sind Hinter- und Vorderkanten von Rotorblättern, die die aktive Anpassung der Rotorblattform an die aktuelle Windstärke erlauben. Beide Konzepte kommen aus der Luftfahrt und lassen sich mit den Klappen an Tragflächen von Flugzeugen vergleichen. Zudem arbeiten die Forscher an der Weiterentwicklung ausgewählter Methoden und Technologien sowie am aerodynamischen Verhalten der Rotorblätter und an der Regelung des Gesamtsystems.
DLR / RK