Ionisiertes Eisen: Neue Messung verschärft altes Problem
Diskrepanz zwischen experimenteller und theoretischer Intensität der Röntgenlinien von hochionisiertem Eisen bleibt rätselhaft.
Seit Jahrzehnten rätseln Astrophysiker über zwei markante Röntgen-Emissionslinien von hochionisiertem Eisen: Ihr gemessenes Intensitätsverhältnis stimmt nicht mit dem berechneten überein. Das beeinträchtigt die Bestimmung der Temperatur und Dichte von Plasmen. Neue sorgfältige, hochpräzise Messungen und Berechnungen mit modernsten Methoden schließen jetzt alle bisher vorgeschlagenen Erklärungen für diese Diskrepanz aus und verschärfen damit das Problem.
Heiße Plasmen erfüllen den intergalaktischen Raum und leuchten hell in Sternatmosphären, aktiven Galaxienkernen und Supernova-Überresten. Sie enthalten Ionen, die Röntgenstrahlen emittieren. Aus diesen Spektrallinien lassen sich beispielsweise Plasmatemperaturen und Elementhäufigkeiten ableiten. Zwei der hellsten Röntgenlinien stammen von Eisenatomen, die 16 ihrer 26 Elektronen verloren haben. Fe16+ kommt im Universum häufig vor. Es sorgt dafür, dass Sterne wie unsere Sonne ihren Wasserstoffvorrat nur langsam verbrennen, indem es den Strahlungstransport von Energie aus dem glühenden Fusionskern zu der vergleichsweise nur mäßig heißen Sternoberfläche weitgehend unterdrückt.
Seit mehr als vierzig Jahren schlagen sich Röntgen-Astronomen mit einem ernsthaften Problem bei den beiden wichtigen Fe16+-Linien herum: Das gemessene Verhältnis ihrer Intensitäten weicht deutlich von theoretischen Vorhersagen ab. Das gilt auch für Labormessungen, aber bisher waren die experimentellen und theoretischen Unsicherheiten zu groß, um die Angelegenheit zu klären. Ein internationales Team hat jetzt die Ergebnisse seiner erneuten massiven Anstrengungen diese Diskrepanz zu beseitigen veröffentlicht. Dazu haben die Wissenschaftler sowohl die bisher höchstaufgelösten Messungen als auch mehrere quantentheoretische Rechnungen mit neuester Methodik durchgeführt.
„Um hochgeladene Eisenionen resonant anzuregen, stellen wir sie kontinuierlich in unserer kompakten mobilen Elektronenstrahl-Ionenfalle her und bestrahlen sie mit Röntgenlicht des Synchrotrons PETRA III am DESY“, erläutert Steffen Kühn vom MPI für Kernphysik das Verfahren. „Die Resonanz mit den Linien finden wir, indem wir die Energie des Synchrotrons über den Bereich durchstimmen, in dem sie erscheinen sollten, und die Helligkeit des Fluoreszenzlichts messen.“
Damit alles widerspruchsfrei ist, haben die Forscher drei verschiedene Messmethoden angewandt, um das Intensitätsverhältnis der Fe16+-Linien 3C und 3D zu bestimmen. Zuerst ergaben Scans über den gesamten Bereich Linienpositionen, -breiten und -intensitäten. Zweitens haben die Experimentatoren die Energie der Röntgenphotonen auf maximale Helligkeit des Fluoreszenzlichts eingestellt, und dabei den Röntgenstrahl zyklisch ab- und wieder angeschaltet, um den starken Untergrund loszuwerden. Drittens haben sie die Linien erneut gescannt, dabei aber gleichzeitig den An-Aus-Trick angewandt, um instrumentelle Effekte zu unterdrücken.
„Auf diese Weise gelang es uns, den derzeit genauesten Wert des Helligkeitsverhältnisses zu bestimmen, und zwar bei einer zehnmal so hohen spektralen Auflösung wie in früheren Arbeiten“, sagt Chintan Shah von der der NASA. „Und die Eigenschaften des Strahls von PETRA III haben mögliche nichtlineare, vom Fluss der Synchrotronstrahlung abhängige Effekte vermieden, die frühere Messungen gestört haben könnten“, ergänzt Sven Bernitt vom Helmholtz-Institut Jena. Bemerkenswerterweise bestätigt das erhaltene Intensitätsverhältnis frühere astrophysikalische und Labormessungen bei deutlich verringerter Unsicherheit.
Beteiligte Theorieteams haben drei unabhängige, sehr umfangreiche, relativistische quantentheoretische Methoden eingesetzt. Das übereinstimmende Ergebnis: Während die berechnete Energiedifferenz zwischen den Linien mit dem gemessenen Wert übereinstimmt, weicht das Intensitätsverhältnis klar vom experimentellen Ergebnis ab. „Es sind keine weiteren quantenmechanischen Effekte oder numerische Unsicherheiten bekannt, die wir in unseren Ansätzen berücksichtigen könnten,“ betont Marianna Safronova von der University of Delaware.
Die Ursache der Diskrepanz zwischen den experimentellen und theoretischen Intensitätsverhältnissen der 3C- und 3D-Linien von Fe16+ bleibt also weiterhin rätselhaft, da auch alle möglicherweise die Messungen störenden Effekte weitestgehend unterdrückt und die restlichen Unsicherheiten verstanden sind. Folglich sind aus Intensitäten von Röntgenlinien abgeleitete astrophysikalische Parameter zu einem gewissen Grad unsicher. Gleichwohl „kann man das neue, genaue Messresultat unmittelbar zur Korrektur astrophysikalischer Modelle verwenden“, so Maurice Leutenegger von der NASA.
MPIK / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
S. Kühn et al.: High-resolution Photo-excitation Measurements Exacerbate the Long-standing Fe XVII Oscillator-Strength Problem, Phys. Rev. Lett. 124, 225001 (2020), DOI: 10.1103/PhysRevLett.124.225001 - AG Dynamik hochgeladener Ionen, Abt. Quantendynamik und -kontrolle, Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg
- AG Ionic Quantum Dynamics and High-Precision Theory, Abt. Theoretical Quantum Dynamics and Quantum Electrodynamics, Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg