21.10.2016

Ising-Computer mit zweitausend Spins

Laserpulse steuern optisch parametrische Oszillatoren – und lösen kombi­na­to­rische Probleme.

Das Ising-Modell gehört zu den altgedienten Arbeits­pferden der statis­tischen Physik. Ursprüng­lich im Jahr 1924 vom Dokto­randen Ernst Ising auf Anregung seines Doktor­vaters Wilhelm Lenz aufge­stellt, sollte es das Verhalten von Spins in ferro­magne­tischen Körpern beschreiben. Ising nahm hierzu an, der Spin könne nur nach oben oder nach unten zeigen und die Werte plus oder minus eins annehmen. Zwischen benach­barten Spins liegt eine Kopplung vor, wobei die Aus­tauschkopplung bei Ferro­magnetika positiv, bei Anti­ferro­mag­netika negativ ist. Dem Gesamt­system lässt sich so über eine Hamilton-Funktion eine Energie zuweisen. Dieses Ising-Modell hat sich auf­grund seiner Einfach­heit und Allgemein­heit für viele physi­ka­lische Zwecke als hilf­reich erwiesen.

Abb.: Aufbau des Experiments in Stan­ford. (Bild: A. Marandi, Stanford U.)

Aber nicht nur in der Physik, sondern auch in der Mathe­matik und Infor­matik ist das Modell von Interesse. Denn die Kopplungen zwischen den einzelnen Kompo­nenten des Systems müssen nicht auf Nachbarn beschränkt sein, sondern lassen sich im Prinzip beliebig einstellen. In einem allge­meinen Ising-Modell mit N Kompo­nenten beschreibt man diese Kopplungen mit einer Matrix mit N mal N Einträgen.

Interessanterweise eignen sich solche allgemeinen Ising-Modelle besonders gut, um komplexe kombi­na­torische Probleme zu lösen. Sowohl die optimale Reise­route eines Handels­reisenden als auch das Färben von Land­karten und zahl­reiche andere kombina­torische Probleme gelten für gewöhn­liche, auf der von-Neumann-Archi­tektur basierende Computer als „NP-hart”. Damit wächst die Zeit für ihre Lösung über­propor­tional an. Ausge­rechnet Ising-Modelle versprechen hier Abhilfe, denn die Mini­mierung der Gesamt­energie bei solchen Systemen entspricht einer sukzes­siven Opti­mierung des Systems. Einige Versuche, solche „Ising-Archi­tek­turen” zu reali­sieren, gab es schon – etwa mit supra­leitenden Kompo­nenten. Der Nachteil bei ihnen: Ihre einzelnen „Spins” konnten nur mit ihren Nachbarn wechsel­wirken, was ihre Einsatz­fähig­keit stark beschränkt. Bei einem Problem, das tausend Ising-Spins zu seiner Bearbeitung benötigt, würde man also eine Million physische Spins mit­ein­ander kontrol­liert in Kontakt bringen müssen, um ihre Matrix physi­kalisch wider­zu­spiegeln.

Zwei Forscherteams aus den NTT Labs im japanischen Atsugi und der Stan­ford University in Kali­fornien haben deshalb jetzt versucht, dieses Modell mit lang­reich­weitigen Kopplungen umzu­setzen. Wenn jeder Spin mit jedem anderen beliebig wechsel­wirken kann, sind für obiges Problem nur noch tausend physische Spins notwendig, um die eine Million Einträge zählende Matrix physi­kalisch abzu­bilden.

Beide Forscherteams arbeiten mit derselben Technik. Sie inte­grieren optisch para­me­trische Oszil­latoren, kurz OPOs, in einer bis zu einer Kilo­meter langen optischen Faser. Diese steuern sie mit zeitlich exakt abge­stimmten Pulsen an. Dabei entspricht jeder kurze Laser­puls einem Spin im Ising-Modell, wobei die Phase des Pulses die beiden möglichen Orien­tierungen wieder­gibt. Die OPOs liefern bei jedem Durch­lauf ein Mess­signal, das die Forscher elek­tronisch auswerten. Mit Hilfe einer sehr schnellen Schaltung ändern die Forscher dann bei jedem Durch­lauf die Orien­tierung der OPOs.

„Es ist uns gelungen, ein Verfahren zur Messung und Feedback-Steuerung zu imple­men­tieren, das es uns ermög­licht, auf diese Weise jeden Puls an jeden anderen Puls zu koppeln”, sagt Peter McMahon von der Stan­ford Univer­sity. Auf diese Weise lässt sich über einige Dutzend Durch­läufe die Gesamt­energie des Systems mini­mieren und zugleich der Einfluss zwischen allen betei­ligten „Spins” berück­sich­tigen.

Der Unterschied zwischen den Experimenten der beiden Forscher­gruppen liegt im Wesent­lichen darin, dass die NTT-Forscher ein größeres Netz­werk mit zwei­tausend physischen Spins auf­bauten, während die Gruppe in Stan­ford nur hundert Spins einsetzt. Der Grund hierfür liegt vor allem darin, dass die Stan­ford-Wissen­schaftler ein handels­übliches Field Program­mable Gate Array benutzen, um die not­wendigen schnellen Schaltungen umzu­setzen, während die Gruppe in Japan ein größeres und eigens für ihre Zwecke opti­miertes System der Computer­firma NEC einsetzt. Dafür gelang es den Forschern aus Kali­fornien, in ihrem System mit 99-prozen­tiger Sicher­heit den Grund­zu­stand in einem Graphen-Problem zu finden. Dafür benötigte ihre Maschine nur 0,1 Sekunden. Das ist vergleich­bar mit der Rechen­zeit, die übliche Soft­ware auf einem normalen Computer für ein solches Problem benötigt. Die Gruppe in Japan bereitet der­artige Messungen zurzeit noch vor.

Noch sind derartige Computer mit hundert oder zweitausend Bit zwar auf­wändig im Bau und in der Ansteuerung. Sollte es den Gruppen aber gelingen, ihr Verfahren weiter nach oben zu skalieren, könnten solche Archi­tek­turen vielleicht in Konkurrenz zu normalen von-Neumann-Computern treten. Dabei sind einige IT-Experten durchaus skeptisch, ob dieser Ansatz wirklich große Fort­schritte bringt. Im Zweifels­fall hängt es stark von der spezi­fischen Frage­stellung ab, die man bear­beiten will. So ist bei Graphen-Problemen, die man häufig in der Kombi­na­torik betrachtet, die Anzahl und Komple­xität der Verbin­dungen entscheidend. Ein solches Graphen-Problem konnte die Maschine in Japan immerhin bereits um einen Faktor 50 schneller als handels­übliche Computer lösen.

Dabei kommt es aber wieder darauf an, ob man den Grundzustand sucht – was sehr auf­wändig ist – oder sich diesem nur bis auf wenige Prozent an­nähern will und bei einer entspre­chenden Konver­genz mit dem Ergebnis zufrieden ist. So benötigte die Maschine in Kali­fornien für die Bestim­mung des Grund­zu­stands eines solchen Problems zwei­hundert Milli­sekunden, für die 95-prozen­tige Annähe­rung daran nur vier Milli­sekunden, bei neunzig Prozent nur eine Milli­sekunde.

In Zukunft wollen die Forscher ihre Systeme weiter ausbauen. „Wir wollen die Größe unseres Ising-Spin-Netz­werks in den kommenden Jahren auf gut zehn­tausend erhöhen”, sagt Taka­hiro Inagaki von den NTT Labs. Damit könnten vielleicht sogar kommer­zielle Anwen­dungen in Reich­weite geraten.

Dirk Eidemüller

RK

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