12.09.2014

Jenseits von Silizium?

Anfang der 1990er Jahre gelangten Kohlenstoff-Nanoröhren ins Rampenlicht der Physik. Was ist aus den Hoffnungen auf vielfältige Anwendungen geworden?

Jedes Mal, wenn ein neues Material mit vielversprechenden elektronischen Eigenschaften in der Physik auftaucht, steht die Frage im Raum, ob diese Neuheit Silizium als Grundstoff der heutigen Halbleitertechnologie ablösen könnte. Nach vielen Jahren der Optimierung der Siliziumprozesse erscheint die Hürde extrem hoch. Ein neues Material müsste einen ähnlich aufwendigen Optimierungsprozess durchlaufen, um tatsächlich eine neue Ära in der Elektronikindustrie einzuläuten.

Dies war so, als in den 1980er Jahren die III-V-Halbleiter mit den damals neuartigen, hochbeweglichen Elektronengasen auf den Plan traten. Die Geschichte wiederholte sich, als Anfang der 1990er Jahre einwandige Kohlenstoff-Nanoröhren in das Rampenlicht traten. 2004 war es dann Graphen, und heute sind es geschichtete zweidimensionale Van-der-Waals-Kristalle, die versprechen, die Zukunft der Technik zu revolutionieren. Mit jedem dieser Materialien verbanden sich anfangs große Erwartungen, die zu intensiven wissenschaftlichen Aktivitäten führten. Doch bisher hat keines das Silizium aus seiner beherrschenden Rolle verdrängen können.

Dennoch zeichnen sich auch für die neuen Materialien mehr und mehr Anwendungen ab, die allmählich aus ihren Nischen hervortreten. So beherrscht Galliumarsenid inzwischen die Optoelektronik, Indiumarsenid den Markt für Hochfrequenzelektronik. Letzterer ist durch Mobilfunk-Anwendungen inzwischen ebenso im Alltag präsent wie das Silizium in Computern und in der Autoelektronik.

Kohlenstoff-Nanoröhren versprachen zunächst einen perfekten ballistischen Stromtransport und winzig kleine Abmessungen, wegen ihres geringen Durchmessers von nur etwa einem Nanometer. Dann stellte sich heraus, dass die elektronischen Eigenschaften sehr empfindlich von der genauen atomaren Struktur der Röhren abhängen. Eine Verschiebung einer Atomreihe um nur ein Atom entlang der Röhre verwandelt eine Nanoröhre von einem Metall in einen Halbleiter – und entscheidet damit über deren Verwendbarkeit als Transistor. Bisher gelingt es nicht, die Herstellung der Nanoröhren bis herab auf die atomare Ebene zu kontrollieren, obwohl auch hier Fortschritte zu verzeichnen sind.

Eine andere Strategie, die Ralph Krupkes Karlsruher Gruppe in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit vorstellen, setzt nach der Herstellung an. Dabei werden die Röhren nach metallischen und halbleitenden Exemplaren sortiert und gezielt zwischen Kontakten auf einem Substrat abgeschieden. Auf diese Weise ist es möglich, ebenfalls für Hochfrequenzanwendungen taugliche Transistoren zu bauen, die inzwischen Frequenzen über 100 GHz ermöglichen. Vielleicht treten diese in der Zukunft an die Stelle von Indiumarsenid, dessen Bestandteile giftige Schwermetalle mit begrenzter Verfügbarkeit auf den Weltmarkt sind. Kohlenstoff ist dagegen ähnlich wie Silizium vergleichsweise unbegrenzt verfügbar.

Kohlenstoff-Nanoröhren eröffnen zudem auch völlig neue Funktionsprinzipien. Dazu zählen Transistoren, deren Schaltzustand durch nur ein einziges Elektron bestimmt wird, und die damit eine erhebliche Reduktion des Energiebedarfs erlauben. Die Coulomb-Abstoßung zwischen den Elektronen verhindert, dass weitere Elektronen in die Kohlenstoff-Nanoröhre des Transistors gelangen. Für derartige Coulomb-Blockade-Effekte waren in der Anfangszeit der Nanoelektronik Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt notwendig. Heute sind sie in Einzelelektronen-Transistoren mit Kohlenstoff-Nanoröhren bereits bei Zimmertemperatur beobachtbar – und damit attraktiv für technische Anwendungen. Auch die Herstellung und kontrollierte Kontaktierung von ultrareinen Kohlenstoff-Nanoröhren macht rapide Fortschritte. Vielleicht lässt sich dies zukünftig für raffinierte Quanteneffekte bis hin zum Quantenrechnen nutzen.

Die Erfahrung von zwanzig Jahren Nanoelektronik zeigt also, dass diese fundamentale Fortschritte möglich macht. Sie könnte unsere Alltagswelt in Zukunft vielleicht ebenso dramatisch umgestalten wie dies die Siliziumtechnologie getan hat – auch wenn die dafür nötigen Zeitspannen länger sind, als es in der Euphorie im Schwange einer Neuentdeckung zunächst erscheinen mag. Da die die Siliziumtechnologie absehbar an ihre fundamentale Grenze stößt, wächst in jüngster Zeit auch das kommerzielle Interesse an alternativen Materialien und neuen Funktionsprinzipien.

Christoph Strunk, Universität Regensburg.

Dieser Essay ist in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit erschienen. Er kommentiert einen Artikel von Michael Engel, Frank Hennrich und Ralph Krupke über neue selektive Sortierverfahren für Kohlenstoff-Nanoröhren (nur für Abonnenten frei).

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