Jubel und fliegende Mützen: LHC läuft wieder
Der erste Teilchenstrahl zirkuliert wieder im weltweit größten Teilchenbeschleuniger in Genf.
Der erste Teilchenstrahl zirkuliert wieder im weltweit größten Teilchenbeschleuniger in Genf.
Angespannte Ruhe im Kontrollraum der größten Forschungsmaschine der Welt. Farbige Grafiken und Diagramme auf den Monitoren. Schließlich die erlösende Nachricht nach einem Jahr des Stillstands: Der erste Teilchenstrahl zirkuliert wieder in dem 27 Kilometer langen Ringbeschleuniger LHC bei Genf. Unter großem Jubel beschleunigen die Forscher am späten Abend des 20. Novembers 2009 ihre Mützen in Richtung Decke, als ob sie eben ihr Examen bestanden hätten. Sie wollen mit ihrer rund drei Milliarden Euro teuren Anlage nichts weniger als dem Urknall so nahe zu kommen wie nie zuvor. Der LHC soll fundamentale Rätsel der Natur lösen. «Es ist toll, dass der LHC samt Teilchenstrahl wieder läuft», so freute sich CERN-Direktor Rolf Heuer.
Abb.: Genf, 20. November 2009 (Bild: CERN)
Der «Large Hadron Collider» war zwar am 10. September 2008 mit einem Bilderbuchstart in Betrieb gegangen. Nur neun Tage später jedoch legte eine schwere Panne im Kühlsystem den unterirdischen Beschleuniger lahm. Eine lange Zeit der Reparatur folgte, zur offiziellen Eröffnung im Oktober 2008 war die Anlage abgeschaltet. Die Arbeiten dauerten länger als zunächst erwartet. Erst nach mehr als einem Jahr wurde die «Urknallmaschine» nun wieder in Betrieb genommen. Vor diesem eher frustrierenden Hintergrund werden Jubel und fliegende Mützen vor der Phalanx der Kontrollmonitore verständlich. Die Forscher wollen endlich mit ihrer Arbeit beginnen.
Im unterirdischen Tunnel des LHC sind zwei tiefgekühlte, kreisrunde Röhren verlegt, in denen Atomkerne fast mit Lichtgeschwindigkeit kreisen. An einigen Stellen können sich die gegenläufigen Strahlen überschneiden und die Kerne mit bislang unerreichter Energie kollidieren. Im Trümmerregen dieser Kollisionen suchen die Forscher mit haushohen Nachweisgeräten nach bislang unentdeckten Elementarteilchen. So hoffen sie unter anderem auf Spuren des sogenannten Higgs-Bosons, das der gängigen Theorie zufolge aller Materie ihre Masse verleihen soll.
Der LHC ist der stärkste Teilchenbeschleuniger der Welt. Vieles an dieser Maschine ist einmalig, größtenteils maßgefertigt, und alles ist hoch kompliziert. Der Beschleuniger hatte seine Betriebstemperatur von minus 271 Grad Celsius (1,9 Grad Kelvin) am 8. Oktober 2009 erreicht. Erste Teilchen wurden am 23. Oktober in die Maschine gegeben, die jedoch noch nicht zirkulierten. Erste «langsame» Teilchenzusammenstöße soll es laut CERN in etwa einer Woche geben.
Der seit 1983 geplante LHC soll «erstes Licht ins dunkle Universum» bringen, wie es CERN-Chef Heuer formuliert. Die Physiker erhoffen sich Hinweise auf die Natur der rätselhaften Dunklen Materie und der ebenso mysteriösen Dunklen Energie, die zusammen rund 95 Prozent des Universums ausmachen sollen.
Informationen zum CERN
Die populärste Errungenschaft des europäischen Teilchenforschungszentrums CERN bei Genf ist das World Wide Web, das 1990 am CERN erfunden wurde, um den Physikern den Datenzugriff zu erleichtern. Dabei ist das «WWW» nur eines von vielen Nebenprodukten aus dem 1954 gegründeten Forschungszentrum, an dem bis zu 10 000 Menschen aus gut 80 Nationen arbeiten. Etwa 20 Länder sind an dem Zentrum beteiligt. Deutschland ist einer der größten Geldgeber.
Die Experimente des CERN («Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire» - europäischer Rat für Kernforschung) haben unser heutiges Verständnis der Welt entscheidend geprägt und auch zahlreiche Alltagsanwendungen hervorgebracht. So sind Detektortechniken der Teilchenphysik in der medizinischen Diagnostik heute weit verbreitet, Teilchenbeschleuniger kommen bei der Krebstherapie zum Einsatz.
Informationen zum LHC
Der «Large Hadron Collider» hat zahlreiche Superlative zu bieten, die zum Teil jedoch erst im Vollbetrieb erreicht werden:
- Umfang: 26,659 Kilometer
- Magnete: 9593 (das Magnetfeld ist 100 mal stärker als das irdische)
- Betriebstemperatur: mit minus 271,3 Grad etwas kälter als im All
- Strombedarf: 120 000 Kilowatt (so groß wie Bedarf der Stadt Genf)
- Protonenpakete in den Strahlen: 2808
- Protonen pro Paket: rund 100 Milliarden
- Protonengeschwindigkeit: Fast 100 Prozent der Lichtgeschwindigkeit
- Damit zurückgelegte Strecke: 299 780 Kilometer pro Sekunde
- Kollisionen: 600 Millionen pro Sekunde
- Datenproduktion: 15 000 000 Gigabyte pro Jahr
DPA / CERN
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