26.08.2024

Kagome-Supraleiter schlägt hohe Wellen

Theorie eines exotischen Quantenphänomens experimentell bestätigt.

Seit rund fünfzehn Jahren steigt das Forschungs­interesse an Kagome-Materialien, deren sternförmige Struktur an ein gleich­namiges japanisches Korb­geflecht erinnert. Erst seit 2018 lassen sich auch Metalle aus dieser Material­klasse im Labor herstellen. Aufgrund ihrer besonderen Kristall-Geometrie kombi­nieren die Kagome-Metalle ungewöhnliche elek­tronische, magnetische sowie supra­leitende Eigenschaften, was sie zu vielver­sprechenden Kandidaten für künftige Quanten­technologien macht. Ronny Thomale, der am Würzburg-Dresdner Exzellenz­cluster ct.qmat – Complexity and Topology in Quantum Matter – forscht, hat mit frühen theo­retischen Vorher­sagen entscheidende Vorarbeiten zu dieser Werkstoff­klasse geleistet. Die neusten Forschungs­ergebnisse wecken nun die Hoffnung, dass neuartige elek­tronische Bauteile möglich werden, beispiels­weise supra­leitende Dioden.

Abb.: Diese Illustration zeigt die Gitterstruktur von einem Kagome-Supraleiter.
Abb.: Diese Illustration zeigt die Gitterstruktur von einem Kagome-Supraleiter.
Quelle: J. Bandmann / pixelwg & neongrau

Vergangenes Jahr entwickelte das Team um Thomale die Theorie, dass sich in Kagome-Metallen eine spezielle Art von Supraleitung zeigen könnte. Bei dieser verteilen sich die Cooper-Paare wellenartig in den Untergittern des Materials. Jede „Sternzacke“ beherbergt also unter­schiedlich viele Cooper-Paare. Thomales Theorie wurde jetzt in einem internationalen Experiment erstmals direkt bestätigt, was weltweit für Aufsehen sorgte. Damit wurde die bisherige Annahme widerlegt, dass es bei den Kagome-Metallen aus­schließlich gleichmäßig verteilte Cooper-Paare geben könne. Cooper-Paare entstehen bei sehr tiefen Tempera­turen aus jeweils zwei Elektronen und sind eine Voraus­setzung für Supraleitung. Sie können im Kollektiv einen Quanten­zustand bilden und sich widerstands­frei durch den Supraleiter bewegen. 

„Zunächst haben wir uns bei der Erforschung von Kagome-Metallen wie Kalium-Vanadium-Antimon (KV3Sb5) auf die Quanten­effekte der einzelnen Elektronen konzen­triert, die zwar nicht supraleitend, aber auch wellenartig im Material verteilt sein können. Nachdem vor zwei Jahren mit dem Nachweis von Ladungs­dichtewellen unsere erste Theorie zum außergewöhnlichen Verhalten von Elektronen auf Kagome-Gittern experi­mentell bestätigt wurde, haben wir uns auf die Suche nach weiteren Quanten­effekten bei ultratiefen Tempera­turen begeben. So haben wir den Kagome-Supra­leiter gefunden. Doch die weltweite Physik steht bei der Kagome-Forschung erst am Anfang“, erklärt Thomale. 

„Die Quantenphysik kennt den Effekt der Paar-Dichte-Welle. Das ist eine spezielle Form eines supra­leitenden Kondensats. Wenn Wasserdampf abkühlt, kondensiert er, wird also flüssig. Das hat jeder beim Kochen schon erlebt und das ist im Kagome-Metall ganz ähnlich: Bei ultra­tiefen Tempera­turen um minus 193 Grad Celsius ordnen sich die Elektronen zunächst neu und verteilen sich wellenartig im Material, was seit dem Nachweis der Ladungsdichte­wellen bekannt ist. Wird die Temperatur bis fast an den absoluten Nullpunkt – auf minus 272 Grad Celsius – reduziert, finden sich die Elektronen paarweise zusammen. Diese Cooper-Paare kondensieren zu einer Quanten­flüssigkeit, die sich ebenfalls wellenartig im Material verteilt und widerstands­freie Supraleitung möglich macht. Die Wellenform wird also vererbt“, erläutert Doktorand Hendrik Hohmann, der gemeinsam mit seinem Kollegen Matteo Dürrnagel maßgeblich an der theo­retischen Arbeit beteiligt war. 

Sowohl Supraleitung als auch die räumliche Verteilung von Cooper-Paaren konnten in der bisherigen Forschung zu Kagome-Metallen bereits realisiert werden. Das erstaun­liche Ergebnis der neuen Forschungen ist jedoch, dass die Cooper-Paare innerhalb der atomaren Untergitter des Materials nicht nur gleichmäßig, sondern wellenförmig verteilt sein können – als „Unter­gitter-Modulierte-Supraleitung“ bezeichnet. „Schlussendlich gibt es unsere Paar-Dichte-Wellen in KV3Sb5, weil sich die Elektronen schon bei Temperaturen, die achtzig Grad Celsius über der Supraleitung liegen, wellenartig verteilt haben. Diese Kombination von Quanten­effekten hat viel Potenzial“, ergänzt Dürrnagel.

Das Experiment, das die wellenartig im Kagome-Metall verteilten Cooper-Paare erstmals direkt nachweisen konnte, wurde von Jia-Xin Yin an der chinesischen Southern University of Science and Technology in Shenzhen entwickelt. Dafür wurde ein Rastertunnel­mikroskop mit einer supraleitenden Spitze ausgestattet, die die Cooper-Paare selbst detektieren kann. Das Prinzip dieser Mikroskop-Spitze, deren Ende nur aus einem einzelnen Atom besteht, basiert auf dem nobelpreisgekrönten Josephson-Effekt. Dabei fließt ein supra­leitender Strom zwischen der Mikroskop-Spitze und der Probe, sodass die Verteilung der Cooper-Paare unmittel­bar gemessen werden kann. 

„Die aktuellen Forschungs­ergebnisse sind ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu energie­effizienten Quanten­bauelementen. Zurzeit ist das zwar noch Zukunftsmusik, weil wir die Quanten­effekte nur auf atomarem Level sehen können. Sobald die Kagome-Supraleitung aber auf makroskopischer Ebene funktioniert, werden solche supraleitenden Bauteile möglich. Das treibt unsere Grundlagen­forschung an“, sagt Thomale. Jetzt suchen die Forschenden nach Kagome-Metallen, bei denen die Cooper-Paare räumlich moduliert sind, ohne dass vor der Supra­leitung Ladungsdichte­wellen entstehen. Vielver­sprechende Kandidaten werden bereits analysiert. 

An supraleitenden elek­tronischen Bauteilen wird noch intensiv geforscht. Erste supraleitende Dioden wurden im Labor bereits realisiert, sie sind aber auf eine Kombination von verschiedenen supra­leitenden Materialien angewiesen. Die speziellen Kagome-Supra­leiter hingegen, in denen die Cooper-Paare räumlich moduliert sind, wirken selber als Diode. Das macht sie attraktiv für die supra­leitende Elektronik und verlust­freie Schaltungen. 

ct.qmat / JOL

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