Keine persistente Realität für Wigners Freund
Mindestens eine von drei Schlüsselannahmen der Quantenmechanik muss verletzt sein.
Die Quantenmechanik ist berühmt für ihren Indeterminismus. Normalerweise lassen sich jedoch Wahrscheinlichkeiten verwenden, um die Unsicherheit über zukünftige Beobachtungen zu quantifizieren. Ein Team von Forschern aus Österreich und Kanada hat jetzt gezeigt, dass es in bestimmten extremen Quantenszenarien nicht möglich ist, solche wahrscheinlichkeitstheoretischen Vorhersagen zu machen, vorausgesetzt bestimmte Schlüsselannahmen der Quantenmechanik treffen zu.
Als Erweiterung des bekannten „Schrödingers Katze“-Experiments schlug Eugene Wigner 1961 ein weiteres Gedankenexperiment vor, heute „Wigners Freund“ genannt. Was erlebt die Katze, wenn sie sich in der Überlagerung, der Quantensuperposition befindet? Wigner spitzte diese Frage zu, indem er die Quantentheorie an ihre begrifflichen Grenzen trieb. Er untersuchte, was passiert, wenn auch ein Beobachter selbst Quanteneigenschaften hat.
In dem Gedankenexperiment führt ein Beobachter, eben Wigners Freund, eine Quantenmessung durch und registriert ein Ergebnis. Aus der Sicht von Wigner kann der Messvorgang seines Freundes als Quantensuperposition beschrieben werden. Die Tatsache, dass die Quantentheorie keine Gültigkeitsgrenzen für ihre Anwendung setzt, führt zu einer deutlichen Spannung zwischen der Wahrnehmung des Freundes, der ein bestimmtes einzelnes Messergebnis sieht, und der Beschreibung von Wigner, der den Freund in einer Überlagerung verschiedener Wahrnehmungen beobachtet.
Dieses Gedankenexperiment wirft also die Frage auf: Was bedeutet es für einen Beobachter in einer Quantensuperposition, das Ergebnis einer Messung zu beobachten? Kann ein Beobachter dem, was er sieht, immer vertrauen und daraus Vorhersagen über zukünftige Messungen treffen? Das Team hat jetzt die Grenzen untersucht, die das Gedankenexperiment von Wigners Freund der Fähigkeit eines Beobachters auferlegt, seine eigenen zukünftigen Beobachtungen vorherzusagen.
Zu diesem Zweck identifizieren die Wissenschaftler eine Reihe von Annahmen, die alle traditionell als Kern des Quantenformalismus gelten. Diese erlauben es einem Beobachter in den üblichen experimentellen Situationen, die Wahrscheinlichkeiten für zukünftige Ergebnisse auf Basis seiner vergangenen Erfahrungen vorherzusagen. Die Annahmen zwingen die Wahrscheinlichkeiten dazu, quantenmechanischen Gesetzen zu gehorchen. Die Forscher beweisen jedoch, dass diese Annahmen für Wigners Freund im Gedankenexperiment nicht alle erfüllt werden können.
Die Arbeit wirft wichtige Fragen über die persistente Realität der Wahrnehmungen von Wigners Freund auf. Tatsächlich zeigen die Forscher, dass es in einem Wigners-Freund-Szenario unmöglich ist, die Wahrnehmungen des Freundes zu verschiedenen Zeitpunkten als koexistent zu betrachten. Das macht es fraglich, ob ein Quantenbeobachter im Allgemeinen seine eigenen vergangenen oder zukünftigen Erfahrungen als ebenso real betrachten kann wie seine gegenwärtigen. „Unsere Arbeit zeigt, dass mindestens eine von drei Schlüsselannahmen der Quantenmechanik verletzt sein muss“, erläutert Philippe Allard Guérin von der Uni Wien. „Welche, hängt von der bevorzugten Interpretation der Quantenmechanik ab.“
U. Wien / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung:
P. A. Guérin et al.: A no-go theorem for the persistent reality of Wigner’s friend’s perception, Comm. Physics 4, 93 (2021); DOI: 10.1038/s42005-021-00589-1 - Institut für Quantenoptik und Quanteninformation Wien, Universität Wien, Österreich