Keine Spur von Halos aus dunkler Materie
Verzerrung der Fornax-Zwerggalaxien nicht in Einklang mit Vorhersagen des kosmologischen Standardmodels.
Der Fornax-Haufen enthält viele Zwerggalaxien. Jüngste Beobachtungen zeigen, dass einige dieser Zwerggalaxien verzerrt erscheinen, als wären sie durch die Umgebung des Haufens gestört worden. „Solche Störungen erwartet man nach dem Standardmodell nicht“, sagt Pavel Kroupa von der Uni Bonn. „Das liegt daran, dass nach diesem Modell die Halos aus dunkler Materie die Zwerggalaxien größtenteils vor den Gezeiten des Haufens schützen.“ Solche Gezeiten entstehen, wenn die Schwerkraft eines Objekts auf verschiedene Teile eines anderen Objekts wirkt.
„Wir stellen eine innovative Methode zur Überprüfung des Standardmodells vor, die darauf beruht zu untersuchen, wie stark Zwerggalaxien durch die Schwerkraft von nahegelegenen größeren Galaxien gestört werden“, erläutert Elena Asencio von der Uni Bonn. Das Team analysierte das erwartete Ausmaß der Störung der Fornax-Zwerggalaxien, das von ihren inneren Eigenschaften und ihrer Entfernung zum gravitativen Zentrum des Haufens abhängt: Galaxien mit großer Ausdehnung, aber geringer stellarer Masse und Galaxien in der Nähe des Haufenzentrums werden leichter gestört oder zerstört. Die Ergebnisse verglichen sie mit dem beobachteten Störungsgrad anhand von Bildern des VLT Survey Teleskops der Europäischen Südsternwarte.
Das Ergebnis des Vergleichs: Um die Beobachtungen mit dem Standardmodell zu erklären, müssten die Fornax-Zwerggalaxien bereits durch die Gravitation des Haufenzentrums zerstört werden, selbst wenn die Gezeiten, die auf eine Zwerggalaxie wirken, vierundsechzigmal schwächer sind als ihre Eigengravitation. Das widerspricht jedoch früheren Studien, die zeigten, dass die externe Kraft, die nötig ist, um eine Zwerggalaxie zu stören, ungefähr so groß ist wie ihre Eigengravitation.
Daraus schlossen die Forscher, dass es im Standardmodell nicht möglich ist, die beobachteten Erscheinungsformen der Fornax-Zwerggalaxien auf eine in sich widerspruchsfreie Weise zu erklären. Das Team wiederholte die Analyse mithilfe der Milgromschen Dynamik. Nach dieser Theorie gehorcht die Anziehung zwischen zwei Massen nur bis zu einem bestimmten Punkt den Newtonschen Gesetzen. Bei sehr kleinen Beschleunigungen, wie sie in Galaxien vorherrschen, wird sie dagegen erheblich stärker. Daher reißen Galaxien durch ihre Drehgeschwindigkeit auch nicht auseinander.
„Wir waren uns nicht sicher, ob die Zwerggalaxien in der Lage sein würden, die extreme Umgebung eines Galaxienhaufens in der Milgromschen Dynamik zu überleben, da es in diesem Modell keine schützenden Halos aus dunkler Materie gibt“, sagt Indranil Banik von der University of St. Andrews. „Aber unsere Ergebnisse zeigen eine bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen den Beobachtungen und den Erwartungen für das Ausmaß der Störung der Fornax-Zwerggalaxien.“ Es ist nicht das erste Mal, dass eine Studie, die die Auswirkungen der dunklen Materie auf die Dynamik und Entwicklung von Galaxien untersucht, zu dem Schluss komme, dass die Beobachtungen besser dadurch erklärt werden können, dass die Galaxien nicht von dunkler Materie umgeben sind. Die Forscher erwarten, dass mehr gestörte Zwerggalaxien in anderen Haufen gefunden werden – eine Vorhersage, die nun von anderen Teams überprüft werden sollte.
U. Bonn / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
E. Asencio et al.: The distribution and morphologies of Fornax Cluster dwarf galaxies suggest they lack dark matter, Mon. Not. R. Astron. Soc. 515, 2981 (2022): DOI: 10.1093/mnras/stac1765 - The Stellar Populations and Dynamics Research Group (P. Kroupa), Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn