12.11.2024

Kerneigenschaften von Fermium

Laser geben Einblick in die Struktur von Atomkernen des Elements 100.

Elemente jenseits von Uran – wie beispiels­weise Fermium (Element 100) – kommen nicht natürlich in der Erdkruste vor und müssen daher für Experimente künstlich erzeugt werden. Sie bilden die Brücke zwischen den natürlich vorkommenden und den superschweren Elementen, die bei 104 Protonen beginnen. Quanten­mechanische Schaleneffekte ermöglichen die Existenz der super­schweren Elemente, obwohl sie nur etwa zwei Tausendstel der Kernbindungs­energie ausmachen, weil sie zu einer zusätzlichen Stabi­lisierung des Atomkerns führen. Der kleine Beitrag ist entscheidend, um den abstoßenden Kräften zwischen den vielen positiv geladenen Protonen entgegen zu wirken.

Abb.: Künstlerische Darstellung der Nuklidkarte rund um die Fermium-Isotope.
Abb.: Künstlerische Darstellung der Nuklidkarte rund um die Fermium-Isotope.
Quelle: S. Raeder

Einem internationalen Forschungsteam ist es nun gelungen, den Prozessen in den schwersten Elementen näher zu kommen und mit Messungen an der GSI/FAIR-Beschleuniger­anlage und in Laboren der Johannes Gutenberg-Universität Mainz einen Einblick in die Struktur von Fermium-Atomkernen mit unter­schiedlichen Anzahlen an Neutronen zu gewinnen. Mit modernen Laserspektro­skopietechniken bestimmten sie die Ausdehnung des Kernladungsradius und ermittelten, dass dieser mit zunehmender Neutronenzahl gleichmäßig ansteigt. Dies weist darauf hin, dass Kernschalen­effekte bei diesen schweren Kernen nur einen geringen Einfluss auf die Kernladungsradien haben.

Das Schalenmodell erklärt quanten­mechanische Effekte, deren Stärke von der Anzahl der Bausteine der Atomkerne, den Protonen und Neutronen, abhängt und zu einer Schalenstruktur im Atomkern führt. Ähnlich wie bei den Atomen, wo vollständig gefüllte Elektronenschalen zu chemischer Stabilität und Reaktions­trägheit führen, zeigen auch gefüllte Kernschalen eine erhöhte Stabilität. Infolgedessen steigen ihre Kernbindungs­energien und die Lebensdauern. In leichteren Kernen ist bekannt, dass gefüllte Kernschalen auch die Kernradien beeinflussen. Mit der Laser­spektroskopie können kleinste Änderungen in der Atomstruktur analysiert und daraus Rückschlüsse auf Kern­eigenschaften wie den Ladungsradius, also die Verteilung der Protonen im Atomkern, gezogen werden. Untersuchungen mehrerer Nuklide des gleichen Elements mit unter­schiedlicher Neutronenzahl zeigen einen stetigen Anstieg dieses Radius, es sei denn, eine magische Zahl wird überschritten. Dann wird ein Knick beobachtet, da sich die Steigung des radialen Anstiegs beim Schalen­schluss ändert. Dieser Effekt wurde für leichtere, kugelförmige Atomkerne bis hin zu Blei festgestellt.

„Mithilfe der Laser­spektroskopie haben wir Fermium-Atomkerne mit 100 Protonen, aber mit verschiedenen Neutronenzahl im Bereich von 145 und 157 untersucht. Besonderes Augenmerk lag dabei auf dem Einfluss quanten­mechanischer Schaleneffekte auf die Größe der Atomkerne. So gelang es uns, die Struktur dieser Kerne rund um den bekannten Schaleneffekt bei einer Neutronenzahl von 152 aus einer neuen Perspektive zu betrachten“, erläutert Sebastian Raeder, der Leiter des Experiments bei GSI/FAIR. „Bei dieser Neutronen­anzahl wurde zuvor die Signatur eines Neutronenschalen­abschlusses in der Bindungsenergie beobachtet. Dessen Stärke wurde durch Hochpräzisionsmassen­messungen bei GSI/FAIR im Jahr 2012 vermessen. Da nach Einstein Masse äquivalent zu Energie ist, geben diese Messungen Hinweise über die zusätzliche Bindungsenergie, die der Schaleneffekt liefert. Die Atomkerne um die Neutronenzahl 152 sind ideale Test­kandidaten für tiefergehende Studien, da sie nicht kugelförmig, sondern eher wie ein Rugby-Ball geformt sind. Diese Deformation erlaubt den vielen Protonen des Kerns, etwas weiter voneinander entfernt zu sein als in einer Kugel.“

Dank des Einsatzes unterschiedlicher Verfahren für die Produktion sowie methodischer Weiter­entwicklungen der Laser­spektrosopie untersuchte die inter­nationalen Kollaboration von 27 Partnerinstituten aus sieben Ländern in den aktuellen Messungen Fermium-Isotope mit Lebensdauern von wenigen Sekunden bis zu hundert Tagen. Die kurzlebigen Isotope wurden an der Beschleunigeranlage von GSI/FAIR hergestellt, wobei teilweise nur ein Atom pro Minute für die Experimente zur Verfügung stand. Zur Messung wurde ein Laser­spektroskopie-Verfahren genutzt, das Forschende vor einigen Jahren für Messungen an Nobelium-Isotopen entwickelt hatten. Die produzierten Kerne wurden in Argongas abgestoppt und nahmen dort Elektronen auf, um zu neutralen Atomen zu werden, welche dann mithilfe von Lasern untersucht wurden.

Die neutronenreichen, langlebigen Fermium­isotope (Fermium-255, Fermium-257) wurden in Pikogramm-Mengen am Oak Ridge National Laboratory in Oak Ridge, USA, und dem Institut Laue-Langevinin Grenoble, Frankreich, hergestellt. Eine radio­chemische Präparation der Proben wurde an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) durch­geführt. Im Anschluss wurde dort eine Methode verwendet, bei der die Probe in einem Reservoir verdampft und im Vakuum mit Laserlicht untersucht wurde. Die nötige Energie für die schritt­weise Ionisierung ändert sich mit der Neutronenzahl. Diese kleine Änderung der Anregungs­energie wurde gemessen, um Informationen über die Größenänderungen der Atomkerne zu bekommen.

Die Untersuchungen erlaubten einen Einblick in die Änderungen des mittleren Kernladungsradius in Fermium-Isotopen über die Neutronenzahl 152 hinweg. Die Ergebnisse zeigen, dass die Kernladungs­radien gleichmäßig ansteigen. Der Vergleich dieser experimentellen Daten mit verschiedenen theoretischen Berechnungen, die von internationalen Kollaborations­partnern mit theoretischen Kernmodellen durchgeführt wurden, ermöglicht eine Interpretation der zugrunde liegenden physikalischen Effekte. Dabei wurde eine große Übereinstimmung aller Modelle, trotz unterschiedlicher Berechnungs­methoden, miteinander und auch mit den experi­mentellen Daten gefunden.

„Unsere experimentellen Ergebnisse und deren Inter­pretation mit Hilfe modernster theoretischer Verfahren weisen darauf hin, dass bei den Fermium-Atomkernen die Kernschalen­effekte keinen messbaren Einfluss auf die Kernladungs­radien haben, im Gegensatz zum starken Einfluss, den sie auf die Bindungsenergien dieser Kerne haben“, sagt Jessica Warbinek. „Die Ergebnisse bestätigen theoretische Vorhersagen, dass mit steigender Kernmasse nicht mehr Schaleneffekte dominieren, die nur von wenigen, einzelnen Kernbau­steinen bestimmt werden, sondern Effekte, die auf die Gesamtheit aller Neutronen und Protonen zurückzuführen sind und Atomkerne eher als geladene Tröpfchen betrachten.“

Die experimentellen Verbesserungen eröffnen den Weg zu weiteren laser­spektroskopischen Studien von schweren Elementen in der Region rund um die Neutronenzahl 152 und in noch schwereren Elementen, die bisher für solche Messungen unzugänglich sind. Dies stellt einen wichtigen Schritt auf dem Weg zum besseren Verständnis von Stabilisations­prozessen in schweren und superschweren Elementen mit neuartigen Methoden dar. Weitere Entwicklungen werden es in Zukunft erlauben, selbst geringfügige Effekte der Schalen­struktur aufzuspüren, die der Grund für die Existenz der schwersten bekannten Elemente sind.

GSI / JOL

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