28.07.2010

Kernmaterie am kritischen Punkt

Neue Ergebnisse für die Masse zweier Krypton-Isotope ergeben eine bessere Abgrenzung für Quanten-Phasenübergänge in Atomkernen.

Neue Ergebnisse für die Masse zweier Krypton-Isotope ergeben eine bessere Abgrenzung für Quanten-Phasenübergänge in Atomkernen.

Die klassische Thermodynamik lehrt uns: für Ensembles aus Atomen und Molekülen sind Phasenübergänge durch Druck und Temperatur bestimmt. Wie verhalten sich aber die Bestandteile von Atomen, die Elektronen und Kerne? Gibt es auch hier Aggregatzustände und Phasenübergänge und wovon hängen diese ab? Mit diesen Fragen haben sich Forscher der Gruppe von Klaus Blaum vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik an ISOLDE/CERN in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern von sechs weiteren Forschungsinstitutionen am Beispiel der Kernmaterie näher beschäftigt.

Abb.: Bindungsenergie pro Nukleon der natürlich vorkommenden Nuklide in Abhängigkeit von der Kernmasse. Das Minimum liegt im Bereich des stabilsten Eisen-Isotops 56Fe. Leichtere Kerne können unter Energiegewinn fusionieren, während bei schwereren Kernen Spaltung oder Alpha-Zerfall auftreten. Oberhalb einer Massenzahl von etwa 30 wird die Bindungsenergie durch die Weizsäcker’sche Massenformel (grüne Kurve) gut beschrieben. (Bild: MPI für Kernphysik)

Für die Beschreibung der extrem dichten Kernmaterie, deren Nukleonen aus positiv geladenen Protonen und elektrisch neutrale Neutronen bestehen, entwickelte Carl-Friedrich von Weizsäcker bereits 1935 seine Massenformel die den Kern als Tröpfchen modelliert. Und Masse spielt auch für den experimentellen Zugang, den sich die Forscher um Klaus Blaum zunutze machen, eine zentrale Rolle. Denn beim Atomkern gilt: das Ganze wiegt weniger als die Summe seiner Teile. Die fehlende Masse entfällt nach der Einsteinschen Äquivalenz von Energie und Masse auf die Bindungsenergie des Atomkerns. Dieses Phänomen nennt man Massendefekt.

Abb.: Experimentell bestimmte Bindungsenergien eines Neutronenpaars in Abhängigkeit von der Neutronenzahl für Isotopenreihen von Germanium (Kernladung Z=32) bis Rhodium (Z=45). Im Bereich um N=59 weichen die Daten für Kernladungen zwischen 36 und 43 vom Tröpfchenmodell (grüne Kurve) ab, was an einer Deformation der sonst nahezu kugelförmigen Kerne (orange) liegt und auf einen Quanten-Phasenübergang hinweist. Die beiden ausgefüllten Messpunkte (96Kr und 97Kr) aus der neuen Publikation belegen die untere Grenze in Z für den Phasenübergang. (Bild: MPI für Kernphysik)

Hinzu kommen noch Effekte der Quantenphysik. Die theoretische Beschreibung bedient sich hier der Quantenstatistik, also der Thermodynamik für Quantensysteme – seien es Quantengase (z. B. Bose-Einstein-Kondensate) oder Quantenflüssigkeiten (Suprafluidität) mit ganz neuen Eigenschaften. "Für einen bestimmten Bereich der Neutronenanzahl um das Element Yttrium zeigten frühere Messungen deutliche Hinweise auf einen Phasenübergang in der Kernmaterie und wir waren nun interessiert, wo die Grenzen für diesen Übergang liegen", so Klaus Blaum. Die Phasenänderung ist mit einer Deformation des normalerweise kugelförmigen Kerns verbunden, was sich in einer schwächeren Bindung der Nukleonen und einer Vergrößerung des mittleren Kerndurchmessers äußert.

Zur Bestimmung der Bindungsenergie hat sich als ideale Wäge-Methode die Penningfallen-Massenspektrometrie erwiesen. In einer Penning-Falle können elektrisch geladene Teilchen mit Hilfe eines konstanten Magnetfeldes und eines elektrostatischen Quadrupolfeldes gefangen und gespeichert werden. Die zu untersuchenden Atomkerne wurden vom Isotopenseparator ISOLDE am CERN bereitgestellt und in der Penning-Ionenfalle ISOLTRAP zur Massenbestimmung eingefangen. "Eine experimentelle Herausforderung stellen die oft recht kurzen Halbwertszeiten der betrachteten Isotope dar, was derzeit noch die Messgenauigkeit einschränkt", erläutert Klaus Blaum. Das Ergebnis für die Krypton-Isotope 96Kr und 97Kr, deren Masse erstmals bestimmt wurde, zeigt, dass hier im Gegensatz zur benachbarten Reihe der Rubidium-Isotope (Z=37) kein Phasenübergang mehr beobachtet wird. Damit ist eine untere Grenze, gefunden, was die Abhängigkeit von der Kernladung angeht, und zugleich wird demonstriert, welches Potential die Penningfallen-Massenspektrometrie für die Erforschung von Kernmaterie bietet.

Beim nächsten Experiment wollen die Forscher eine andere Kerneigenschaft aufspüren: den Schalenabschluss bei der „magischen“ Neutronenzahl N=28 im Bereich der Kernmasse von Argon. Auch hier handelt es sich um einen Quanteneffekt, der über das einfache Tröpfchenmodell hinausgeht und durch eine erhöhte Bindungsenergie gekennzeichnet ist – ähnlich den Schalenabschlüssen in der Atomhülle bei Edelgasen, die sich chemisch sehr stabil verhalten.

Max-Planck-Institut für Kernphysik /  PH

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