07.07.2021

KI analysiert komplexe Materialien

Neuronale Netze berechnen lokale Spannungen in komplexen Materialien.

Die Vorhersage des mechanischen Verhaltens aller Systeme, die uns umgeben, von Fahrzeugen und Raumschiffen bis hin zu Brücken und Wolken­kratzern, ist für Sicherheit und Design unerlässlich. Seit mehr als 300 Jahren wissen Wissenschaft­lerinnen und Wissenschaftler, wie man die zugrundeliegende Physik in mathe­matische Formeln übersetzt. Dank des technologischen Fortschritts wurde eine riesige Sammlung von numerischen Werkzeugen und Methoden entwickelt, um die komplexen Gleichungen computer­gestützt zu lösen und korrekte Antworten zu verschiedenen mechanischen Problemen vorher­zusagen. Das direkte Lösen dieser Gleichungen braucht aber Zeit und wird umso schwieriger, je komplexer das System ist. Deswegen sehen sich Forscher oft dazu gezwungen, Näherungen zu verwenden, anstatt alle Variablen des Systems zu berück­sichtigen. Jetzt wurde ein großer Schritt in Richtung genauer und schneller Vorhersagen der Mechanik komplexer Materialien gemacht. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Eisen­forschung MPIE und DeepMetis, einem auf künstliche Intelligenz speziali­sierten Unternehmen in Berlin, haben tiefe neuronale Netze eingesetzt, um lokale Spannungen in komplexen Materialien zu berechnen – und das bis zu 8300 Mal schneller als ein Standard-Rechen­system es tun würde. 

Abb.: Anhand vieler vorbe­rechneter korrekter Ant­worten lernt das...
Abb.: Anhand vieler vorbe­rechneter korrekter Ant­worten lernt das neuro­nale Netz die versteckten Beziehungen zwischen den einge­gebenen Daten und den Ergeb­nissen der Simu­lationen. (Bild: J. R. Mianroodi, MPIE)

„Unsere Arbeit zeigt, wie all diese Berechnungen durch maschinelles Lernen ersetzt werden können. Anstatt die Gleichungen direkt zu lösen, haben wir ein neuronales Netzwerk entwickelt, das die Physik erlernen und korrekte Antworten auf komplexe und nichtlineare Fragen der Mechanik vorhersagen kann, indem es sich einfach einen großen Datensatz ansieht.“, erklärt Jaber Rezaei Mianroodi, Leiter der Gruppe „Computergestützte Methoden nachhaltiger Metallurgie“. Nachdem das neuronale Netz mit vorbe­rechneten korrekten physikalischen Reaktionen trainiert wurde, ist es in der Lage, Lösungen für Probleme und Konfi­gurationen vorher­zusagen, denen es während des Trainings nie begegnet ist. Ähnlich wie ein erfahrener Ingenieur, der ein Gespür für komplexe mechanische Probleme entwickelt und in der Lage ist, innerhalb von Sekunden fundierte Vermutungen anzustellen, lernt das Netzwerk die zugrunde liegende Physik und sagt Lösungen in Mikro­sekunden vorher.

Die Vorhersagen des Netzwerks sind trotz der Komplexität des Systems um Größen­ordnungen schneller als herkömmliche Solver. Im Gegensatz zu konven­tionellen Solvern, die einen iterativen Ansatz zur Lösung nicht­linearer Probleme erfordern, ist der trainierte maschinelle Solver nicht iterativ. „Diese Methode kann die herkömmlichen Solver ersetzen und verbessert unser Verständnis von Multi­skalen- und Multi­physik-Problemen. Unser Solver verbraucht um Größen­ordnungen weniger Rechenzeit, was neue Möglichkeiten für innovative Material­modelle eröffnet. Die Einbeziehung unserer maschinellen Lerntechnik wird uns dabei helfen, die Modelle aussage­kräftiger und realis­tischer zu machen, da sie die Optimierung noch kompli­zierterer Systeme ermöglicht.“, sagt Nima Siboni, Experte für künstliche Intelligenz bei DeepMetis.

Die Forscher werden nun die Flexibilität und den Umfang des maschinellen Lerna­nsatzes erweitern, um noch genauere Vorher­sagen zu treffen. Außerdem planen sie, weitere wichtige Gleichungen zu untersuchen, die mit herkömm­lichen Methoden nur zeitaufwändig zu lösen wären.

MPIE / JOL

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