28.01.2019

Klebstoff für Cooper-Paare

Cuprate liefern neue Hinweise zur Erklärung der Hochtemperatur-Supraleitung.

Ein Supraleiter bei Raum­temperatur wäre ein wissen­schaftlicher Durchbruch von heraus­ragender Bedeutung, sowohl in theo­retischer als auch in techno­logischer Hinsicht. Es würde eine Reihe ganz neuer Anwen­dungen ermöglichen, von schwebenden Hochge­schwindigkeits­zügen bis hin zu neuen bild­gebenden Verfahren für die Medizin. Die Suche nach solchen Hoch­temperatur-Supraleitern ist aller­dings extrem schwierig, weil viele der Quanten­effekte, die mit der Supra­leitung in Zusammen­hang stehen, noch nicht gut verstanden sind. Neven Barišic vom Institut für Fest­körperphysik an der TU Wien experi­mentiert mit Cupraten, einer Material­klasse, die bei Normal­druck bis zu einer Temperatur von 140 Kelvin supra­leitend bleiben. Damit sind Cuprate bis heute die Rekord­halter.

Abb.: Diese supra­leitenden Cuprate weisen unbe­wegliche Ladungs­träger...
Abb.: Diese supra­leitenden Cuprate weisen unbe­wegliche Ladungs­träger auf, die als Klebstoff für Cooper-Paare wirken. (Bild: TU Wien)

Barišic und seinem Team gelang es nun, bemerkens­werte neue Resultate zu erzielen und neue Ideen vorzu­stellen, durch die sich die Art, wie man über komplexe Materialien und Hoch­temperatur-Supra­leitung denkt, völlig verändern soll. „Das Phänomen der Hoch­temperatur-Supra­leitung wird seit Jahr­zehnten eingehend erforscht, aber bisher hat niemand das Rätsel wirklich gelöst“, sagt Barišic. „Es gibt durchaus einige Materialien, die supra­leitendes Verhalten bei Temperaturen in der Nähe des absoluten Null­punktes zeigen, und bei manchen verstehen wir sogar, warum das so ist. Aber die wirkliche Heraus­forderung ist es, Supra­leitung in Cupraten zu verstehen, wo sie bei viel höheren Tempera­turen bestehen bleibt. Ein Material, das bei Raum­temperatur supra­leitend bleibt, wäre gewisser­maßen der Heilige Gral der Fest­körperphysik, und dem kommen wir näher und näher.“

Barišic konnte mit seinem Team nun zeigen, dass es in Cupraten zwei funda­mental unter­schiedliche Ladungsträger gibt. Das subtile Wechsel­spiel zwischen ihnen ist entscheidend für die Supra­leitung. Manche der elek­trischen Ladungs­träger im Material sind loka­lisiert, jeder von ihnen sitzt an ganz bestimmten Atomen und kann sich nur wegbewegen, wenn das Material aufgeheizt wird. Andere Ladungs­träger hingegen sind mobil und können von einem Atom zum anderen springen. Diese mobilen Ladungs­träger sind es, die supra­leitend werden, aber die Supra­leitung lässt sich nur erklären, wenn man auch die immobilen Ladungs­träger berück­sichtigt.

„Es gibt eine Wechsel­wirkung zwischen den beweg­lichen und den unbeweg­lichen Ladungs­trägern, durch die sich die Energie des Systems verändert“, sagt Barišic. „Die unbeweg­lichen Ladungs­träger wirken als Klebstoff und binden Paare von mobilen Ladungs­trägern aneinander, die die Cooper-Paare bilden. Die Bildung von Ladungs­träger-Paaren ist die Grundidee hinter klassischen Supra­leitern. Erst wenn die Ladungs­träger gepaart werden, können sie supra­leitend werden, und das Material trans­portiert die Ladung ohne jede Streuung und ohne jeden Wider­stand.“

Das bedeutet, dass man die Zahl von mobilen und immo­bilen Ladungs­trägern sorgfältig ausba­lancieren muss, um Supra­leitung zu erhalten. Gibt es zu wenige loka­lisierte Ladungsträger, steht zu wenig Klebstoff zum Koppeln der beweglichen Ladungs­träger zur Verfügung. Gibt es hingegen zu wenige mobile Ladungs­träger, dann gibt es nichts, was der Klebstoff koppeln könnte. In beiden Fällen wird die Supra­leitung geschwächt oder bricht überhaupt zusammen. Dazwischen gibt es einen optimalen Bereich, in dem die Supra­leitung bis hin zu bemerkenswert hohen Tempera­turen erhalten bleibt. Die große Heraus­forderung war es, heraus­zufinden, wie sich diese Balance zwischen mobilen und immobilen Ladungs­trägern konti­nuierlich ändert, abhängig von der Temperatur oder der Dotierung des Materials mit anderen Atomen.

„Wir haben viele unter­schiedliche Experi­mente mit Cupraten durchgeführt und riesen­große Daten­mengen gesammelt. Nun können wir schließlich ein umfas­sendes phänomeno­logisches Bild der Supra­leitung in Cupraten präsen­tieren“, sagt Barišic. Er konnte nachweisen, dass Supra­leitung graduell entstehen kann – ein wichtiger Schritt in Richtung des Ziels, Cuprate zu verstehen und noch bessere Supraleiter zu entwickeln. Wenn es auf dieser Basis möglich wird, Materialien zu erzeugen, die auch bei Raum­temperatur noch supra­leitend bleiben, hätte das weit­reichende Konse­quenzen für unsere Tech­nologie. Man könnte elek­tronische Geräte bauen, die kaum noch elek­trische Energie verbrauchen würden. Schwebende Züge könnten konstruiert werden, mit Hilfe von extrem starken supra­leitenden Magneten, sodass billiger, ultra­schneller Transport möglich werden würde. „Noch stehen wir nicht vor dem Ziel“, sagt Neven Barišic. „Aber ein tiefes Verständnis von Hoch­temperatur-Supra­leitung würde den Weg dorthin ebnen. Und ich glaube, dass wir nun gleich mehrere wichtige Schritte in diese Richtung genommen haben.“

TU Wien / JOL

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