31.07.2019

Klein, aber oho!

Oberflächen-Nanoblasen könnten sich bei zahlreichen neuen Anwendungen einsetzen lassen.

Ihre Entdeckung vor rund zwanzig Jahren war reiner Zufall. Unter dem Mikroskop machten Wissenschaftler nanometerkleine Bläschen aus, die sich in Flüssigkeiten entlang von Oberflächen bilden – ähnlich den Luftblasen an der Wand eines Wasserglases. Was die Wissenschaftler stutzig machte: Entgegen aller Annahmen und physikalischer Gesetze lösen sich Oberflächen-Nanoblasen nicht sofort auf, sondern bleiben über mehrere Tage stabil. Eine Eigenschaft, die die mit Gas gefüllten Bläschen für zahlreiche Anwendungsbereiche interessant macht – von der Medizin, über Reinigungsverfahren bis hin zu Umwelttechniken. Wissenschaftler der Universität Siegen haben jetzt die bisher umfangreichste experimentelle Untersuchung zur Identifizierung von Oberflächen-Nanoblasen vorgelegt. Sie haben außerdem einen Weg gefunden, gasgefüllte Nanoblasen von anderen Kleinstteilchen und -tröpfchen, die durch Verunreinigungen verursacht werden, zu unterscheiden.
 

Abb.: Fluoreszenzaufnahme von Oberflächen-Nanoblasen, die zuvor mit einem...
Abb.: Fluoreszenzaufnahme von Oberflächen-Nanoblasen, die zuvor mit einem Farbstoff markiert wurden. (Bild: U. Siegen)

„Oberflächen-Nanoblasen lassen sich zum Beispiel sehr leicht mit Nano-Öltröpfchen verwechseln, die ungewollt bei Experimenten durch mit Silikon-Öl beschichtete Spritzen ins Wasser gelangen können. Bei der Untersuchung dieser winzigen Einheiten wussten wir daher bisher häufig gar nicht genau, was wir eigentlich unter dem Mikroskop hatten“, sagt Chemiker Holger Schönherr, der die Studie mit seiner Arbeitsgruppe „Physikalische Chemie I“ umgesetzt hat. Um die Nanoblasen in großem Stil für Anwendungen nutzen zu können, sei es jedoch wichtig, sie zu identifizieren und auch ihre Eigenschaften genau zu kennen. „In diesem Punkt sind wir durch unsere Experimente einen großen Schritt weitergekommen. Wir befinden uns derzeit am Übergang von der Grundlagenforschung hin zur gezielten Anwendung“, erklärt Schönherr, zugleich Dekan der Naturwissenschaftlich-Technischen Fakultät der Universität Siegen.

In der Medizin könnten Nanobläschen zum Beispiel als Ultraschallkontrastmittel eingesetzt werden, um Krebsgewebe besser und mit mehr Detail als bisher sichtbar zu machen. Auch für die Krebstherapie sind die winzigen Einheiten von Nutzen: mit ihnen könnte die richtige Dosierung von bestimmten neuartigen Strahlenquellen zur Bekämpfung von Tumoren genauer und vor allem während der Behandlung in Echtzeit bestimmt werden, was bisher nicht möglich ist. Im Zusammenhang mit Reinigungsprozessen helfen Nanobläschen, Verunreinigungen von wertvollen Bestandteilen zu trennen. Dazu werden bereits große Gasblasen bei der Erz-Aufreinigung genutzt. Nanoblasen könnten künftig zum Beispiel auch zur Reinigung von Abwasser oder von Halbleiterbauteilen eingesetzt werden. Darüber hinaus wurden in empirischen Studien positive Effekte von vermuteten Sauerstoffnanoblasen auf das Pflanzen- und Tierwachstum beobachtet – ein möglicher Ansatzpunkt zur Linderung der globalen Nahrungsmittelknappheit, hofft Schönherr.

Um die Oberflächen-Nanobläschen zu untersuchen, haben Schönherr und sein Team in den Laboren der Universität Siegen zwei verschiedene Mikroskopie-Techniken miteinander kombiniert: Ein spezielles Rasterkraft-Mikroskop, das Oberflächen mit Hilfe einer wenige Nanometer großen Spitze abtastet und somit die Größe der Nanoblasen bestimmen kann, sowie die Fluoreszenzlebensdauer-Mikroskopie. Dabei wird das Wasser mit Spuren eines speziellen Farbstoffs versetzt, der sich an Oberflächen anheftet und – je nach chemischer und physikalischer Beschaffenheit der jeweiligen Oberfläche – unterschiedlich verhält. „Die Fluoreszenzlebensdauer des Farbstoffs – also quasi die Zeitspanne, während der der Farbstoff nach Anregung leuchtet – verrät uns die Beschaffenheit der Umgebung der Farbstoffmoleküle und somit die Beschaffenheit der Nanoteilchen im Wasser“, so Schönherr. Die Wissenschaftler konnten so erstmals zweifelsfrei erkennen, ob es sich bei den beobachteten Teilchen tatsächlich um gasgefüllte Nanoblasen handelt – oder um winzige Silikon-Öltröpfchen.

Mehrere Jahre haben die Siegener Wissenschaftler mit Oberflächen-Nanoblasen experimentiert, sie mit Rasterkraft-Mikroskopie und dem neu entwickelten kombinierten Verfahren untersucht, die Ergebnisse ausgewertet und miteinander abgeglichen. „Es war uns wichtig, eine große Datenmenge zu haben, um valide Aussagen treffen zu können. Bei Abweichungen haben wir die Experimente sehr oft wiederholt, um genauere Referenzwerte zu erhalten“, sagt Schönherr. 

Im September 2020 organisiert Schönherr gemeinsam mit Kollegen aus London und Magdeburg außerdem die Konferenz „Nanobubble 2020“. Mehr als 150 Wissenschaftler aus aller Welt werden dazu in Magdeburg erwartet. Neben neuesten Erkenntnissen der Grundlagenforschung werden sie vor allem auch das konkrete Anwendungspotential von Nanoblasen diskutieren.

Schönherr und sein Team möchten in Siegen ihre Forschungen an Nanoblasen in den kommenden Jahren fortsetzen und ausweiten. Das Ziel: den Wirkungsmechanismus der stabilen Gasbläschen exakt verstehen – und das nicht nur, wenn sie an Oberflächen anhaften, sondern vor allem auch, wenn sie frei in Flüssigkeiten vorkommen. Nur dann sei man in der Lage, die gasgefüllten Nanoblasen in großem Stil zu produzieren und wirklich gezielt anzuwenden, sagt Schönherr: „Wenn es uns in Zukunft gelingt, die kleinen Blasen und ihre Eigenschaften entsprechend zu kontrollieren, wäre das möglicherweise ein Schlüssel zur Lösung großer globaler Herausforderungen. Ich würde mich sehr freuen, dazu einen Beitrag leisten zu können.“ 

U. Siegen / DE
 

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