22.02.2021

Kondensierte Mikroschwimmer

Magnetfeldempfindliche Mikroschwimmer organisieren sich unter bestimmten Bedigungen wie ultrakalte Quantengase.

Im Gegensatz zur unbelebten passiven Materie gelten für die motile aktive Materie nicht die Erhaltungs­sätze der gewöhnlichen Thermo­dynamik. Das heißt, aktive Materie strebt nicht ins Gleich­gewicht, sondern wendet ständig Energie auf, etwa um einen Bewegungs­zustand zu erreichen. Seit über zwanzig Jahren stellt sie daher für die Forscher eine faszinierende Plattform dar, in der ständig neue exotische Materie­zustände entdeckt werden, für die es keine Entsprechung im thermo­dynamischen Gleich­gewicht gibt. Unter allen Arten von Schwimmern sind magneto­taktische Schwimmer, deren Bewegung magnetischen Feldlinien folgt – seien es Bakterien, die ein besonderes Organ entwickelt haben, um Magnetfelder zu spüren, oder technisch entwickelte Mikro­roboter – von besonderem Interesse sowohl für die Grund­lagen­forschung als auch für die Anwendung. 
 

Abb.: Durch den Einfluss der Magnet- und Strömungs­felder konzentrieren sich...
Abb.: Durch den Einfluss der Magnet- und Strömungs­felder konzentrieren sich die magneto­taktischen Schwimmer unterschiedlich im Zentrum des Kanals abhängig von der Dichte, wobei geringe Dichte im oberen Bild vorliegt und hohe Dichte im unteren Bild. (Bild: Novak, Mahault & Golestanian / MPIDS)

Da die magnetische Aktivierung nicht invasiv und biologisch verträglich ist, sind magnetisch aktivierte Mikro­roboter viel­versprechende Kandidaten für biomedizinische Anwendungen, etwa zur zielgenauen Verabreichung von Medikamenten. Darüber hinaus stellen Ansammlungen solcher Schwimmer sehr komplexe Studien­objekte dar, da jeder sein eigenes Magnetfeld erzeugt und somit die Bewegung aller anderen beeinflusst. Im Zusammenspiel mit Eigenantrieb und äußerem Antrieb durch ein Magnet­feld oder eine Strömung können die entstehenden Wechsel­wirkungen zu faszinierendem kollektivem Verhalten führen.

Nun zeigt ein Forscherteam unter der Leitung von Ramin Golestanian, Direktor der Abteilung Physik lebender Materie am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbst­organisation, dass magneto­taktische Schwimmer, die in einem mikro­fluidischen Kanal eingeschlossen sind, ein neuartiges kollektives Verhalten entwickeln. Dabei bildet sich eine Phase aus, die formal als klassisches Äquivalent eines Bose-Einstein-Kondensats (BEC) beschrieben werden kann. 

Boson können den gleichen Quanten­zustand einnehmen. „Aufgrund dieser besonderen Eigenschaft kondensieren Bosonen – wie Helium-4 oder andere atomare Gase – bei Abkühlung nahe an den absoluten Nullpunkt in den selben Quanten­zustand und bilden so ein einziges makroskopisches Objekt mit Quanten­eigenschaften", sagt Benoît Mahault, einer der Autoren der Studie. Ein solcher Materiezustand, der in den 1920er Jahren erstmals von Albert Einstein vorher­gesagt wurde, wird als das Bose-Einstein-Kondensat bezeichnet.

Magnetische Mikroschwimmer befinden sich jedoch normalerweise bei Raum­temperatur und unterliegen somit nicht den Regeln der Quanten­mechanik. Dennoch legen numerische Simulationen und die von Golestanian und seinem Team entwickelte Theorie nahe, dass solche Schwimmer – wenn sie in einem mikro­fluidischen Kanal einem äußeren Magnetfeld und einem Scherfluss ausgesetzt sind – Kondensate ausbilden, die analog zum BEC beschrieben werden können. „Die Kombination aus Magnet- und Strömungs­feld wirkt so, als befänden sich die Schwimmer in einer effektiven Potential­mulde, die sie auf natürliche Weise in die Mitte des Kanals anzieht", sagt Fanlong Meng, der Erst­autor der Studie. „Solche mikroskopisch kleinen Teilchen schwanken aber in ihrer Position und Schwimmrichtung, was ihrer Anhäufung entgegen­wirkt und jede Art von großräumiger Cluster­bildung verhindert", fügt er hinzu. 

Die Gültigkeit der Beschreibung durch nicht-wechselwirkende Schwimmer geht jedoch verloren, sobald deren Dichte einen bestimmten Schwellen­wert überschreitet. „Dann sind die Anziehungs­kräfte zwischen den Schwimmern stark genug, um den Einfluss der Fluktuation zu überwinden, was dazu führt, dass eine makroskopische Anzahl von ihnen gefangen bleibt und sich entlang der Kanal­mitte anordnet“, erklärt Golestanian. In bemerkens­werter Weise zeigt der von den Autoren entwickelte theoretische Rahmen, dass die makro­skopische Beschreibung dieser Clusterbildung starke Ähnlichkeiten mit dem BEC aufweist, obwohl die beiden Phänomene aus unter­schiedlichen physikalischen Prozessen stammen.

Dies ist nicht das erste Mal, dass die Gruppe von Golestanian den Ursprung eines erstaunlichen kollektiven Verhaltens von magneto­taktischen Schwimmern enthüllt. So konnten sie in einer früheren Veröffentlichung aufklären, wie magnetische Wechselwirkungen zwischen Schwimmern zu deren Selbst­organisation in Gruppen, die sich entlang des Kanals bewegen, beitragen. „Diese früheren Ergebnisse wurden außerhalb des Kondensations­regimes erzielt“, spezifiziert Mahault, „was uns dazu veranlasste, sie wieder aufzugreifen.“ 

Auf diese Weise konnten die Autoren ein Phasen­diagramm erstellen, das alle dynamischen Zustände der magneto­taktischen Schwimmer beschreibt. „Unser theoretisches Modell ist zudem detailliert genug, um direkte Vergleiche mit Experimenten an biologischen oder künstlichen Schwimmern zu ermöglichen“, ergänzt Golestanian. Die Autoren schlussfolgern, dass die Ergebnisse nicht nur das breite Spektrum der kollektiven Dynamik aktiver Materie bereichern, sondern auch interessante Parallelen über die Grenzen der Disziplinen der Physik hinweg aufzeigen und Orientierungs­hilfen für die zukünftige Entwicklung steuerbarer funktionaler mikro­robotischer Systeme mit bestimmten, angestrebten emergenten Eigenschaften liefern. 

MPIDS / DE
 

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