10.01.2008

Kräfte aus dem Nichts

Stuttgarter Physiker beobachten die kritische Casimir-Kraft und haben einen Weg gefunden, wie sich dadurch verursachte Blockaden von Nanomaschinen künftig vielleicht vermeiden lassen.



Stuttgarter Physiker beobachten die kritische Casimir-Kraft und haben einen Weg gefunden, wie sich dadurch verursachte Blockaden von Nanomaschinen künftig vielleicht vermeiden lassen.

Wenn eine Maschine klemmt, ist der Ingenieur schuld – oder die Physik. Letzteres gilt zumindest für die ersten einfachen Nanomaschinen, die von der Casimir-Kraft gebremst werden. Diese Kraft wirkt nur im Maßstab von einigen Millionstel Zentimetern und lässt winzige Maschinenteile aneinander haften. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Metallforschung und von der Universität Stuttgart haben eine ähnliche Kraft nun auch in einer Mischung zweier Flüssigkeiten beobachtet. Sie haben außerdem einen Weg gefunden, die Wirkung der Kraft umzukehren, sodass sich mögliche Blockaden von Nanomaschinen künftig vielleicht vermeiden lassen. So wird es möglich, Maschinen weiter zu miniaturisieren und etwa mechanische Schalter oder Sensoren im Nanometermaßstab herzustellen.

Zwei Metallplatten ziehen sich gegenseitig an, wenn sie sich im Vakuum und am absoluten Nullpunkt der Temperatur etwa einen halben Mikrometer gegenüber stehen. Die Kraft, die die Platten zusammen schiebt, rührt von quantenmechanischen Schwankungen des Vakuums her - also eigentlich aus dem Nichts. Solche Fluktuation stellen Schwankungen elektromagnetischer Wellen dar. Diese müssen auf den Oberflächen der beiden elektrisch leitenden Platten einen Knoten besitzen. Daher ist die Zahl erlaubter Wellen zwischen den Platten stark eingeschränkt. Außerhalb der Platten können sie sich dagegen ungehindert ausbreiten. Hieraus ergibt sich letztendlich eine anziehende Kraft zwischen den Platten.

Diesen Effekt sagte der Physiker Hendrik Casimir schon 1948 theoretisch voraus. Heute sorgt die Casimir-Kraft dafür, dass die Bauteile von Nanomaschinen aneinander kleben. Clemens Bechinger, Professor an der Universität Stuttgart und seit Beginn des Jahres auch Max-Planck Fellow, Christopher Hertlein und weitere Mitarbeiter haben eine ganz ähnliche Kraft nun auch in einer Mischung von Wasser und der öligen Flüssigkeit Lutidin experimentell beobachtet: die kritische Casimir-Kraft. „Diese Kraft ist so schwach, dass sie nur sehr schwer nachzuweisen ist“, sagt Clemens Bechinger. Die Messergebnisse stimmen dabei sehr gut mit Werten überein, die Siegfried Dietrich, Direktor am Stuttgarter Max-Planck-Institut für Metallforschung, und seine Mitarbeiter theoretisch vorhergesagt haben. Die Messergebnisse haben die Wissenschaftler nun gemeinsam veröffentlicht.

Abb. 1: Messung in der Schwebe: Ein Lichtstrahl wird an einer Gefäßwand total reflektiert, nur ein wenig Licht leckt in das Gefäß. Wie viel die Kugel davon reflektiert, hängt stark von ihrem Abstand zur Wand und damit von der Kraft ab, die sie zur Wand zieht. (Bild: Ingrid Schofron/Max-Planck-Institut für Metallforschung)

Die kritische Casimir-Kraft verdankt ihren Namen der Tatsache, dass sie nahe an einem kritischen Punkt auftritt. Solch einen kritischen Punkt gibt es auch in einem Gemisch von Wasser und Lutidin. Bei niedrigen Temperaturen bilden sie eine klare Lösung. Heizt man diese Lösung jedoch auf etwa 34 Grad Celsius auf, trennen sie sich in zwei unterschiedliche Gemische - Physiker sprechen von zwei Phasen, von denen eine viel Lutidin und die andere viel Wasser enthält.

Die entsprechende Temperatur heißt kritische Temperatur. An diesem so genannten kritischen Punkt entstehen die beiden Phasen jedoch nicht schlagartig, wie etwa Wasser am Gefrierpunkt zu Eis erstarrt. Vielmehr bilden sich auch unterhalb der kritischen Temperatur schon Bereiche in dem Gemisch, die mehr Lutidin oder mehr Wasser enthalten. Je weiter sich die Temperatur jedoch der kritischen Temperatur nähert, desto größer werden diese Bereiche und desto länger bleiben sie bestehen. „Wie die Konzentration von Wasser und Lutidin in unterschiedlichen Bereichen der Mischung schwankt, ähnelt den quantenmechanischen Fluktuationen im Vakuum“, sagt Siegfried Dietrich. Und wie diese sollten die Konzentrationsschwankungen auch eine anziehende Kraft zwischen Oberflächen erzeugen. Und das tun sie auch, wie die Forscher nun nachgewiesen haben.

„Wir haben eine Kunststoffkugel mit einem Mikrometer Durchmesser beobachtet, die in einem Glasgefäß mit Lutidin und Wasser schwebte“, sagt Cristopher Hertlein. Die Temperatur der Lösung lag zunächst deutlich unter dem kritischen Punkt. Die Forscher heizten sie dann allmählich auf. Als die Temperatur nur noch zwei Zehntel Grad vom kritischen Punkt entfernt war, näherte sich die Kunststoffkugel der Glaswand des Gefäßes an. Den Abstand der Kugel zur Glaswand bestimmten die Physiker mithilfe evaneszenter optischer Felder, die an der Kunststoffkugel gestreut werden. Sie strahlten Licht in einem spitzen Winkel auf das Gefäß, sodass es fast gänzlich reflektiert wird. Nur ein winziger Teil des Lichts leckt in die Flüssigkeit. Wie viel davon die Kunststoffkugel erreicht und wie stark dieser Anteil dann gestreut wird, hängt sehr stark von deren Abstand zur Gefäßwand ab.

Den Forschern ist es gelungen aus dem Abstand des Kügelchens die Kraft zu ermitteln, die auf sie wirkt. Eine knifflige Angelegenheit: Das winzige Kunststoffkügelchen bewegt sich nämlich alleine deshalb schon hektisch, weil es ständig mit den aufgeheizten Flüssigkeitsmolekülen zusammenstößt. Die kritische Casimir-Kraft macht sich daher nur in Form statistischer Ausreißer in Richtung Glaswand bemerkbar. „Diese statistischen Ausreißer können wir nur feststellen, weil unsere Messmethode mehrere tausend Mal sensibler ist als die Rasterkraft-Mikroskopie“, sagt Clemens Bechinger. Die Rasterkraft-Mikroskopie misst die anziehende Kraft, die eine Oberfläche auf einen feinen Messarm ausübt. Mithilfe der optischen Messmethode haben die Stuttgarter nun festgestellt, dass die kritische Casimir-Kraft nur 600 Femto-Newton beträgt, also weniger als den millionsten Teil der Gewichtskraft eines Flohs.

Diese Kraft schiebt die Kunststoffkugel aber nur dann zur Glaswand, wenn Glas und Kunststoffkugel entweder beide Wasser oder beide Öl bevorzugen. Sind die beiden Oberflächen dagegen so beschichtet, dass nur eine der beiden Oberflächen Öl bevorzugt, treibt die kritische Casimir-Kraft die Kugel von der Glaswand weg. Dann bilden sich an der einen Oberfläche nämlich eher Bereiche mit viel Wasser und an der anderen solche mit viel Öl. Da es aber Energie kostet, die wasserreiche mit der ölreichen Phase in direkten Kontakt zu bringen, wird die Kugel abgestoßen.

„Diesen Effekt haben wir nach unseren theoretischen Untersuchungen auch erwartet“, sagt Dietrich. Mit seinem experimentellen Nachweis bietet sich – so erwarten die Forscher – nun auch die Perspektive, die Blockade von Nanomaschinen zu verhindern. Solche Maschinen im Maßstab von wenigen Millionstel Zentimetern könnten einmal als Aktuatoren etwa in der Medizin dienen. Sie könnten Operationen ohne größere Eingriffe erlauben oder Medikamente gezielt zu einem Krankheitsherd transportieren. Bislang scheitern solche Maschinen unter anderem jedoch an der Casimir-Kraft der quantemechanischen Vakuumfluktuationen, die ihre Bewegung lähmt. „Wenn diese Maschinen nicht im Vakuum, sondern in einem Flüssigkeitsgemisch nahe am kritischen Punkt arbeiten würden, ließe sich das ändern“, so Siegfried Dietrich. Dann ließen sich die Maschinenteile nämlich so beschichten, dass die Casimir-Kraft abstoßend wirkt und die Maschine rund läuft. Das zu erreichen, ist eines der Ziele, die Dietrichs theoretische Gruppe und Bechingers experimentelle Gruppe künftig gemeinsam verfolgen werden.

Quelle: MPG

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