07.12.2016

Kristalle aus Plasma

Plasmakristall-Experimente stufen komplexes Plasma als neuen Aggregatzustand der weichen Materie ein.

Die Plasmakristall-Experimente zählen zu den erfolg­reichsten Forschungs­arbeiten auf der Inter­nationalen Raum­station ISS. Das Plasma­kristall-Labor PKE-Nefedov gehörte zu den ersten natur­wissenschaftlichen Forschungs­laboren auf der ISS, seit 2014 ist im Columbus-Modul der Nachfolger PK-4 in Betrieb. Mehr als siebzig wissenschaftliche Publikationen belegen den Wissens­zuwachs aus den Experimenten der letzten 15 Jahre. Die Forschungs­gruppe Komplexe Plasmen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) gewinnt mit ihren Arbeiten grundlegende Erkenntnisse, die insbesondere der Festkörper- und Flüssigkeits­physik dienen, aber auch Anwendungen in der Weltraum­physik, der Plasma­physik und Plasma­technologie sowie der Fusions­forschung ermöglichen. Ende November trafen sich am DLR in Ober­pfaffen­hofen die internationalen Projekt- und Forschungs­partner zu einem umfassenden Symposium, um die bisherigen Ergebnisse von PK-4 vorzustellen und die künftigen Aktivitäten zu planen.

Abb.: In der ZyFlex-Kammer schwebt ein zweidimensionaler Plasmakristall als rote, ovale Wolke über der unteren Elektrode. (Bild: DLR (CC-BY 3.0))

Die ISS bietet ideale Voraussetzungen für die Untersuchung von Plasma­kristallen beziehungs­weise komplexen Plasmen. Plasma tritt auf der Erde nur selten auf, etwa bei einem Blitz. Im Gegensatz dazu befindet sich 99 Prozent der sichtbaren Materie im Weltraum im Plasma­zustand. Wenn im ionisierten Gas zusätzlich Staub­teilchen oder andere Mikro­partikel enthalten sind, werden diese hoch aufgeladen und es entsteht ein „komplexes Plasma”: In der Schwere­losigkeit können sich die Teilchen frei im Raum ausbreiten und bilden geordnete drei­dimensionale Kristall­strukturen. Die Teilchen verhalten sich dabei ähnlich wie Atome in einem Fest­körper oder einer Flüssigkeit – mit dem Vorteil, dass man im Plasma jeden Mikro­partikel einzeln und wie in Zeitlupe beobachten kann. Dies ermöglicht ganz neue Einblicke in die Physik.

Anhand der PK-4-Aufzeichnungen können die Forscher daher auf atomarer Ebene verfolgen, wie ein Festkörper schmilzt, wie sich Wellen in Flüssig­keiten ausbreiten oder Strömungen verändern. Komplexes Plasma ist ein neuer Aggregats­zustand der weichen Materie, neben Kolloiden, Polymeren, Schäumen, Gelen, granularen Medien oder auch Flüssigkeits­kristallen – eine Erkenntnis, die erst die Ergebnisse unter Schwere­losigkeit zu Tage gebracht haben.

Mittels Technologietransfer erschließt die Plasmaforschung auch völlig neue Anwendungs­bereiche. Ausgangs­punkt ist das Know-how aus der bemannten Raumfahrt – miniaturisierte, bedienungs­freundliche und zugleich hoch­effiziente Labore zu entwickeln und zu bauen, unter Berücksichtigung der speziellem Sicherheits­aspekten für die Astronauten. Ein besonderer Transfer vom Weltraum zur Erde ist den Wissenschaftlern bereits mit der Herstellung einer Plasma­quelle für den medizinischen Einsatz gelungen. Dadurch ließ sich die weltweit erste klinische Studie zur Nutzung von Plasma zur Heilung chronischer Wunden durchführen – ein Meilen­stein für die Plasma­medizin. Dieses junge, schnell wachsende Forschungs­feld verbindet Erkenntnisse aus der Plasma­physik mit der Plasma­chemie, Mikro­biologie und Medizin.

Abb.: Nahaufname des Plasma-Kristalls (Bild: DLR (CC-BY 3.0))

„Nach den Erfolgen mit der Plasma­medizin am MPE arbeitet die Forschungs­gruppe am DLR jetzt an neuen Folge­projekten. Die sogenannten kalten atmosphärischen Plasmen aus dem medizinischen Bereich können wir auch für die Raumfahrt nutzbar machen – speziell zur Sterilisierung von Ober­flächen und Bauteilen, etwa von Marsrovern, die nach Leben suchen sollen. Der Einsatz von Plasma könnte in Zukunft auch die Hygiene an Bord der ISS wesentlich erleichtern", erklärt Hubertus Thomas, Leiter der DLR-Forschungs­gruppe komplexe Plasmen. Die Projekte zur Nutzung der kalten atmosphärischen Plasmen werden durch das Bayerische Wirtschafts­ministerium gefördert.

Das aktuelle Forschungsprojekt und Plasmalabor PK-4 auf der ISS ist eine europäisch-russische Kooperation mit Forschungs­partnern auf der ganzen Welt. Entsprechend großen Anklang fand nun das PK-4-Symposium in Ober­pfaffen­hofen mit rund sechzig Teilnehmern: Die DLR-Forschungs­gruppe komplexe Plasmen begrüßte das internationale Wissenschaftler­team mit Beteiligten der europäischen Weltraum­behörde ESA, der russischen Raumfahrt­behörde ROSCOSMOS, der amerikanischen Raum­fahrt­behörde NASA/National Science Foundation sowie dem Raumfahrt­management des DLR.

In einem besonderen Gastvortrag berichtete auch Kosmonaut Alexandr Samokutyaev von seiner Arbeit auf der ISS. Zusammen mit Kollegin Elena Serova hatte der Russe das Plasma­kristall-Labor im November 2014 installiert und für den ersten Einsatz vorbereitet: „Die wissenschaftlichen Experimente auf der Raumstation sind sehr wichtig und für Astronauten eine zentrale Aufgabe an Bord, da sie besondere Erkenntnisse für die Raumfahrt und die Menschen auf der Erde liefern. Umso mehr freue ich mich, dass ich mit PK-4 einen Beitrag dazu leisten konnte."

Die Fachgemeinschaft nutzte des Symposium auch, um das langfristige Programm von PK-4 zu erörtern und auszubauen. Im nächsten Jahr sind drei neue Versuchs­reihen mit dem Plasma­kristall-Labor geplant, das bis mindestens 2019 auf der ISS betrieben werden soll. „Wir freuen uns, dass nach den äußerst erfolgreichen Experimenten PKE-Nefedov und PK-3 Plus mit PK-4 die Möglichkeit besteht, die Plasma­kristall­forschung auf der ISS in den kommenden Jahren fortzusetzen. Das Symposium hat einmal mehr gezeigt, wie vielfältig dieses Forschungs­gebiet ist und dass deutsche Wissenschaftler hier in einem internationalen Umfeld an vorderster Front forschen", sagt Thomas Driebe vom Raumfahrt­management des DLR im Rahmen der Veranstaltung.

Parallel zu PK-4 entwickeln die Plasma­forscher bereits zwei neuartige Plasma­kammern, die den wissenschaftlichen und technischen Anschluss an PK-4 und die vorangegangenen Projekte bilden. Der Experiment­aufbau von EKoPlasma soll 2020 auf die ISS gebracht werden und besteht aus einer zylindrisch geformten „Zyflex-Kammer" und einer zwölf­flächigen „Dodakaeder-Kammer". Diese einzig­artigen Plasma­kammern werden es der Forschungs­gruppe ermöglichen, weitere Forschungs- und Anwendungs­felder der komplexen Plasmen zu erschließen.

DLR / DE

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