Kristalle im Elektronenblick
Elektronen-Kristallographie zeigt Vorteile zur etablierten Röntgenstrukturanalyse.
Üblicherweise bestrahlen Kristallographen ihre Proben mit Röntgenstrahlen. Der etablierten Röntgenstrukturanalyse sind aber Grenzen gesetzt: Mit ihr können die Forscher unter besten Voraussetzungen Einkristalle zwischen fünfzig ;und hundert Mikrometer Kantenlänge charakterisieren. „Die Elektronen-Kristallographie ist ein neuer, relativ junger Ansatz: Wir konnten bereits zeigen, dass wir mit ihr Kristalle von weniger als einem Mikrometer Kantenlänge analysieren können – also auch Kristalle, von denen bisher keine 3D-Struktur existiert“, sagt Tim Grüne vom Institut für Anorganische Chemie und Leiter des Zentrums für Röntgenstrukturanalyse.
Elektronen wechselwirken viel stärker mit Materie als Röntgenstrahlen. Werden submikrometergroße Verbindungen mit Elektronen bestrahlt, liefern sie typische Beugungsbilder als Ausgangspunkt für die Strukturanalyse. Allerdings lassen sich die Kristalle auf dem Probenhalter nicht um 360 Grad in alle Richtungen drehen: Derzeit ist nur eine Drehachse möglich und zudem sind die Metallstangen des Probenhalters für die Elektronenstrahlen undurchdringbar, so dass ab einem Drehwinkel von 75 Grad in jede Richtung eine Barriere besteht. „So sind nur maximal 300-Grad-Analysen durchführbar. Damit kommen wir zu einer fehlerhaften Strukturanalyse“, so Grüne, der mit Schweizer Kollegen der ETH Zürich und des Paul Scherrer Instituts im Rahmen ihrer Arbeit in die Trickkiste griff.
Zwei Wege präsentieren die Forscher, um das Problem zu umgehen: Sie präparierten die Probenträger in einer Weise, dass die Kristalle – eine Probe umfasst immer mehrere Dutzend Kristalle – von verschiedenen Seiten einsehbar sind. Für die 3D-Analyse werden die Datensätze zusammengesetzt und das Gesamtbild errechnet. Ein einfacher, schneller und leicht umsetzbarer Weg zur Probenaufbereitung ist es, den Probenträger, eine Carbon-Schicht, mit einem feinen Pinsel aufzurauen: „In Folge dessen rollen sich einzelne Fäden des angegriffenen Trägermaterials – wie Springkraut unter Spannungsverlust - auf und nimmt die darauf stabil haftenden Kristalle einfach mit“, erklärt Grüne. Dadurch bietet sich den Betrachtern eine Vielfalt von Positionen der Einzelkristalle.
Eine zweite Möglichkeit ist es, eine Schicht aus Nylonfäden auf den Carbon-Probenträger aufzubringen: „Die Oberfläche erinnert dann an eine chaotische Oberfläche aus gefällten Baumstämmen mit vielen Zwischenräumen“, so Grüne. Wird die präparierte Trägerschicht anschließend mit den Kristallen bestäubt, bleiben die Kristalle in verschiedenen Positionen an den Nylonfäden hängen. Das Auftragen der Nylonfänden unter Hochspannungsbedingungen ist allerdings vergleichsweise aufwendig.
Beide Verfahren liefern Datensätze für die Kristalle, die sich für eine umfassende 3D-Analyse zusammensetzen lassen. Diese Kombination von Datensätzen ist in der Proteinkristallographie üblich, in der chemischen Kristallographie noch eher unbekannt. Nun nutzen die Forscher aus, dass diese Ansätze aber auch für die chemische Strukturbestimmung von Kristallen funktionieren. Um das Gesamtbild zum 3D-Aufbau zu entwickeln, benötigten sie etwa fünf Kristalle. „Wir haben das Problem nicht gelöst, aber zeigen hier Möglichkeiten auf, die verborgenen Seiten der Kristalle im Rahmen der Elektronenkristallographie dennoch aufzudecken. Es sind überraschend einfache Lösungen, die technisch gut umsetzbar sind“, so Grüne.
U. Wien / JOL