Kristalle überall
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat 2014 zum Internationalen Jahr der Kristallographie erklärt.
Die Erkenntnis, dass Kristalle dreidimensional periodisch aufgebaut sind, ist eine Errungenschaft des 20. Jahrhunderts. Sie gelang Max von Laue im Jahr 1913 mit Hilfe der Röntgenbeugung. Bereits ein Jahr später erhielt von Laue für seine Arbeiten den Nobelpreis für Physik. Das hundertjährige Jubiläum dieses Nobelpreises nahm die Uno zum Anlass, um 2014 zum Jahr der Kristallographie zu erklären. Es soll ihre Bedeutung für das Verständnis der materiellen Beschaffenheit der Welt bewusst machen.
Die Kristallstruktur macht's: Graphit und Diamant bestehen beide aus Kohlenstoff, doch ihre Materialeigenschaften sind extrem unterschiedlich. (Bild: IUCr)
Die Kristallographie erforscht die Struktur und Eigenschaften von Kristallen, ihre Entstehung und Anwendungsmöglichkeiten. Erste Ansätze zu einer systematischen Beschreibung von Mineralien gab es schon in der Antike. Im 16. Jahrhundert führten wissenschaftliche Untersuchungen des sächsischen Gelehrten Georgius Agricola und von Johannes Kepler zu ersten wichtigen Erkenntnissen über die äußere Form von Kristallen und ihre geometrischen Eigenschaften. Agricola teilte Minerale nach ihren physikalischen Eigenschaften ein und kommentiert deren geometrische Formen, während Johannes Kepler 1611 bei seiner Analyse des Aufbaus der sechseckigen Schneeflocken zu der nach ihm benannten Vermutung über die bestmögliche Kugelpackung gelangte.
Der französische Mineraloge René-Just Haüy führte 1801 den Begriff der „Symmetrie“ in einer formalen Definition in die Kristallographie ein. Das Symmetriegesetz bildete die Grundlage für weitere Forschungen zur Bestimmung der kristallographischen Raumgruppen. Max von Laues Entdeckung, dass sich aus den Beugungsmustern von Röntgenstrahlen auf die Struktur von Kristallen schließen lässt, markiert die Geburtsstunde der modernen Kristallographie.
Welche bedeutsamen wissenschaftlichen Errungenschaften die Kristallographie zu verzeichnen hat, zeigt sich an den dreiundzwanzig Nobelpreisen, die auf diesem Gebiet verliehen wurden: William Henry Bragg und sein Sohn William Lawrence erhielten den Physik-Nobelpreis 1915 für „für ihre Verdienste um die Analyse der Kristallstruktur mit Röntgenstrahlen“, Clinton Davisson und George Thompson 1937 für die Elektronenbeugung an Kristallen.
Der amerikanische Chemiker James B. Sumner ebnete mit seiner Entdeckung, dass sich Enzyme kristallisieren lassen, den Weg zur modernen Strukturbiologie und erhielt dafür 1946 den Chemie-Nobelpreis. In der Folge gelang es, die Struktur von komplexen Molekülen wie Hämoglobin und der Desoxyribonukleinsäure (DNS) aufzuklären. Und für die Entdeckung der lange Zeit umstrittenen Quasikristalle erhielt der israelische Forscher Daniel Shechtman im Jahr 2011 den Chemie-Nobelpreis.
Die Kristallographie nutzt heutzutage hochmoderne Analysemethoden unter Verwendung von Synchrotronstrahlung und Röntgenlasern, um komplexe Strukturen und das Verhalten von Werk- und Wirkstoffen auf der molekularen Ebene zu verstehen. Das ist insbesondere unverzichtbar für die Bewältigung von Krankheiten und Umweltproblemen, da die Kristallographie hilft, Protein- und Kleinmolekülstrukturen zu identifizieren, die für die Entwicklung von Medikamenten wesentlich sind. Das Jahr 2014 soll daher die große Bedeutung der Kristallographie im Bereich der Medizin, in der Nanotechnologie und in der Biotechnologie unterstreichen.
Mit der Eröffnungsveranstaltung am Sitz der UNESCO in Paris am 20. Januar hat das Internationale Jahr der Kristallographie offiziell begonnen. Über die Veranstaltungen und Ausstellungen in Deutschland informiert eine eigene Website. Beispielsweise bietet das Museum „Reich der Kristalle“ in München bis Juni eine große Sonderausstellung zum Thema Symmetrie, die den Bogen von Symmetrien in Natur und Kunst über von Laues Entdeckung bis zu den Quasikristallen schlägt.
Unesco / Alexander Pawlak