10.02.2021

Kristallin und amorph zugleich

Ferroelektrische Polymere zeigen überraschende Eigenschaften.

Bei bestimmten Materialien sind elektrische und mechanische Effekte eng miteinander verknüpft: So kann es etwa sein, dass das Material seine Form verändert, wenn man ein elektrisches Feld anlegt, oder dass umgekehrt ein elektrisches Feld entsteht, wenn man das Material verformt. Für viele technische Anwendungen sind solche elektro­mechanisch aktiven Materialien sehr wichtig. Meist handelt es sich bei solchen Materialien um anorganische Kristalle, diese sind allerdings hart und spröde. Daher setzt man nun auch ferro­elektrische Polymere ein. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Polymer­ketten gleichzeitig in zwei verschieden­artigen Mikro­strukturen vorliegen: manche Bereiche sind stark geordnet (kristallin), während sich dazwischen ungeordnete (amorphe) Bereiche ausbilden.

Abb.: Polymer-Struktur unter dem Mikroskop. (Bild: TU Wien)
Abb.: Polymer-Struktur unter dem Mikroskop. (Bild: TU Wien)

Diese semi­kristallinen Verbundstoffe sind elektro­mechanisch aktiv und vereinen daher elektrische und mechanische Effekte, gleichzeitig sind sie aber auch biegsam und weich. An der TU Wien wurden solche Materialien nun grundlegend untersucht – mit überraschenden Ergebnissen: ab einer bestimmten Temperatur ändern sich die Eigenschaften dramatisch. Warum das passiert, konnte ein Forschungsteam der TU Wien in Kooperation mit Arbeits­gruppen aus Madrid und London nun erklären. „Wenn man das mechanische Verhalten eines Materials mit Hilfe elektrischer Felder steuern kann, lassen sich damit etwa winzige Sensoren bauen“, sagt Ulrich Schmid vom Institut für Sensor- und Aktuator­systeme. „Interessant ist das beispielsweise für Rasterkraft­mikroskope, bei denen man eine winzige Spitze in Schwingung versetzt, um damit eine Oberfläche abzutasten und ein Bild zu erzeugen.“

Das Einsatzgebiet solcher Materialien lässt sich dramatisch erweitern, wenn es gelingt, solche elektro­mechanischen Eigenschaften nicht nur in starren Materialien hervorzurufen, sondern auch in flexiblen, weichen Materialien. Einerseits haben biegsame Materialien ein völlig anderes Schwingungsverhalten, das kann man beim Konstruieren winziger Sensoren ausnützen. Andererseits eröffnen solche Materialien auch Möglichkeiten, die bisher völlig undenkbar waren – etwa smarte Textilien, biegsame Energie­speicher oder Strom­generatoren. „Festkörper können etwa kristallin sein, dann sind die Atome in einem regelmäßigen Gitter angeordnet, oder sie sind amorph – da sind die einzelnen Atome zufällig verteilt“, erklärt Jonas Hafner, der im Rahmen seiner Dissertation an diesem Forschungs­projekt arbeitet. „Das Besondere an dem Material, das wir untersucht haben, ist, dass es beides gleichzeitig sein kann: Es bildet kristalline Bereiche aus, dazwischen liegt das Material in amorpher Form vor.“ Die Kristalle sorgen für die elektro­mechanischen Eigenschaften des Materials, die amorphe Matrix rundherum hält die winzigen Kristalle zusammen, insgesamt entsteht ein sehr biegsames, flexibles Material.  

Um solche Materialien weiter­entwickeln und verbessern zu können, untersuchte das Forschungsteam zunächst ihre grundlegenden physi­kalischen Eigen­schaften. Und dabei stieß man auf ein überraschendes Phänomen: Die ferro­elektrischen Polymere, die aus der Kombination von kristallinen und amorphen Bereichen bestehen, ändern bei einer bestimmten Temperatur ihre mikro­skopische Zusammensetzung – was überraschende Effekte auf das makroskopische elektro­mechanische Verhalten hat. Normalerweise verschwinden die elektro­mechanischen Eigenschaften eines Materials erst dann, wenn eine sehr hohe Temperatur auf atomarer Ebene für so große Schwingungen sorgt, dass die elektrische Ordnung im Material völlig verschwindet. Diese kritische Temperatur bezeichnet man als „Curie-Temperatur“. Doch bei dem nun untersuchten Material ist die Sache komplizierter: „In unserem Fall bleiben die elektro­mechanischen Eigenschaften der winzigen Kristalle bestehen. Mikro­skopisch betrachtet sind die Eigenschaften noch da, aber makroskopisch betrachtet sind sie verschwunden“, sagt Jonas Hafner.

Das Team konnte erklären, wie dieser Effekt entsteht: Bei steigender Temperatur vergrößert sich der Anteil der amorphen Bereiche des Polymers und an einem bestimmten Punkt verlieren die winzigen Kristalle den direkten Kontakt zueinander. Dadurch können keine mechanischen Kräfte mehr von einem der winzigen Kristalle zum nächsten weiter­gegeben werden, weil sie alle vollständig in einer dämpfenden amorphen Matrix eingebettet sind. Dadurch ändert sich das mechanische und elektromechanische Verhalten des Materials dramatisch. „Nur wenn wir diese grund­legenden Effekte verstehen, können wir auch erklären, wie mikro­skopische und makro­skopische Eigenschaften solcher Materialien miteinander zusammenhängen“, sagt Ulrich Schmid. „Wir arbeiten mit zahlreichen Projekt­partnern zusammen, die solche Materialien dann einsetzen – in Rasterkraft­mikroskopen, in Sensoren, in Chips. An Einsatz­möglichkeiten für diese spannende Materialphase mangelt es sicher nicht.“

TU Wien / JOL

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