Kristallschichten unter Druck
Entstehung komplexer Strukturen bei bis zu 51 Gigapascal beobachtet.
Mithilfe der Röntgenlichtquelle Petra III haben Forscher zum ersten Mal beobachtet, wie sich bestimmte Kristallschichten unter hohem Druck verformen und komplexe innere Strukturen bilden. Die Untersuchung unter Leitung von Sander van Smaalen von der Uni Bayreuth bietet neue Einblicke in das komplizierte Verhalten von Schichtkristallen.
Abb.: Schematischer Ablauf der Phasenumwandlung unter Druck. Die Chloratome versuchen unter Hochdruck, einen günstigeren Abstand einzunehmen. Dadurch wölbt sich die Schicht (rechts). (Bild: M. Bykov, U Bayreuth)
Festkörper mit einer schichtartigen Kristallstruktur finden als Schmierstoffe Verwendung und bilden auch die Grundlage für physikalische Phänomene wie Supraleitung, Ladungsdichtewellen und topologische Isolatoren. Die Materialien bestehen aus Schichten der jeweiligen chemischen Verbindung, die durch schwache Van-der-Waals-Kräfte zusammengehalten werden. Durch äußeren Druck lässt sich sowohl die innere Struktur solcher Festkörper verändern, als auch untersuchen, wie sich die Kräfte innerhalb der Schichten und zwischen ihnen verändern.
Das Team untersuchte eine Schichtverbindung aus Chrom, Sauerstoff und Chlor. Das Chrom-Oxychlorid CrOCl steht stellvertretend für eine ganze Gruppe ähnlicher Verbindungen, bei denen Chrom jeweils durch ein anderes Metall ersetzt ist. Die Forscher platzierten winzige, wenige Mikrometer große CrOCl-Einkristalle in eine Diamant-Stempelzelle, mit der sich kleine Proben unter gewaltigen Druck setzen lassen. In der Stempelzelle ließen die Wissenschaftler bis zu 56 Gigapascal auf die Probe einwirken. Mit dem extrem hellen Röntgenlicht von Petra III konnten sie dabei verfolgen, wie sich die innere Struktur des Materials durch den Druck veränderte.
Früher dachten die Forscher, dass die innere Struktur eines Materials einfacher wird, je höher der Druck steigt. Vor ungefähr 15 Jahren stellte sich dann heraus, dass das nicht immer der Fall ist: Bei manchen chemischen Elementen werden die zunächst einfachen Kristallstrukturen unter Druck überraschenderweise komplexer. Bei Verbindungen mehrerer Elemente wie CrOCl ist dieser Effekt allerdings noch nicht sehr gut belegt.
Abb.: Der Einkristall in der Diamantstempelzelle bei Normaldruck (links) und bei 51 Gigapascal (rechts; Bild: M. Bykov, U. Bayreuth)
„Im Chrom-Oxychlorid haben wir bei einem Druck oberhalb von 150.000 Atmosphären eine strukturelle Phasenumwandlung entdeckt, die zu einer aperiodischen, modulierten Struktur führt“, berichtet Leonid Dubrovinsky von der Uni Bayreuth. „Dieser eigentümliche Zustand zeigt alle typischen Eigenschaften eines kristallinen Materials, aber es fehlt ihm die Periodizität, die man in normalen Kristallen findet.“ Es ist das erste Mal, dass Forscher eine solche inkommensurable Hochdruckphase eines komplexen Festkörpers im Detail beschreiben.
„Bei hohem Druck wird die elektromagnetische Abstoßung zwischen den Chloratomen benachbarter Schichten ebenso bedeutend wie die Atombindungen innerhalb dieser Schichten“, erläutert van Smaalen. „Das Chrom-Oxychlorid versucht, eine unter diesen widerstrebenden Kräften optimale Struktur zu finden, und dadurch wölben sich die Chrom-Sauerstoff-Schichten.“ Die Wissenschaftler beobachteten die Entwicklung der inneren Struktur des Materials unter weiter zunehmendem Druck und stellten fest, dass es sich bei 51 Gigapascal noch einmal reorganisiert und eine einfache periodische Struktur annimmt. Ein ähnliches Hochdruck-Verhalten lässt sich bei einer breiten Palette von Materialien erwarten, die unter Normalbedingungen eine Mischung aus starken und schwachen chemischen Bindungen besitzen. Ein besseres Verständnis dieses Verhaltens liefert nicht nur neue Einblicke in das Phänomen der inkommensurablen Phasen. Es könnte den Forschern auch ermöglichen, die Eigenschaften vielversprechender neuer Materialien für verschiedene Anwendungen genau abzustimmen.
DESY / RK