26.06.2017

Kristallwachstum in Blockbauweise

Schnelles, nichtklassisches Kristallwachstum dank vorgefertigter Bauteile in Nanotropfen.

Wie wachsen Kristalle? Das klassische Lehrbuchwissen sagt: Schicht für Schicht verbreiten sich Atome beziehungs­weise Moleküle auf einer bestehenden Kristallfläche. Die Arbeitsgruppe Physikalische Chemie an der Universität Konstanz hat für Glutamin­säure eine Vorstufe dieses Kristall­wachstums beobachten können, die diesem klassischen Wachstums­prinzip widerspricht.

Abb.: Zeitsequenz über 47 Minuten, die die Abscheidung der flüssigen Vorstufen auf der Oberfläche eines Glutaminsäuremono-Hydrat-Einkristalls zeigt. Das Sichtfeld ist zwei mal zwei Mikrometer. (Bild: Y. Jiang et al., U. Konstanz)

Demnach sind es nicht nur einzelne Atome, die sich an eine existierende Kristall­fläche anlagern, sondern Nano-Tröpfchen, in denen bereits Bausteine für das Wachstum eingelagert sind. Damit könnte das Kristall­wachstum, das in einer Vielzahl von Materialien und Anwendungen eine bedeutende Rolle spielt, erheblich beschleunigt werden. Dass die Bausteine in der Vorstufe flüssig sind, könnte darüber hinaus die Wirksamkeit von Medikamenten beschleunigen.

Aufnahmen des Rasterkraf­tmikroskops, mit dem in der Arbeitsgruppe von Helmut Cölfen diese Vorstufe gemessen wurde, weisen unter anderem helle Punkte auf, die im Zeitverlauf immer dunkler werden, um schließlich ganz mit der Kristallfläche zu verschmelzen. Das Rasterkraft­mikroskop übersetzt Helligkeit in Höhe. Je heller der Punkt, desto höher ist die Komponente, die dann zerfließt, bis sie die Höhe der Kristalloberfläche erreicht hat. Sie bildet nun eine neue Kristall­schicht. „Wenn ich für eine neue Schicht Atome oder Moleküle anbringe, brauche ich sehr viele davon. Wenn ich in der Lösung aber bereits Bausteine habe, ist es möglich, mit einem Mal viele Bausteine dahin zu bringen, wo gebaut werden soll“, erklärt Helmut Cölfen das Prinzip.

Dass es diese Nano-Tröpfchen gibt, war vor dem Konstanzer Experiment nicht unbekannt. Ihr Vorhandensein wurde bereits bei Protein­kristallen gefunden – sehr großen Makro­molekülen. Glutaminsäure ist dagegen eine einzelne Aminosäure, ein kleines Molekül. Dass es dieses nicht-klassische Wachstum auch hier gibt, konnte zum ersten Mal wirklich gemessen werden. Dass es sich dabei um einen flüssigen Zustand handelt, ist streng­genommen noch nicht bewiesen, sondern wird aus dem Verhalten der Bausteine auf der Kristalloberfläche geschlossen. „Wir glauben, dass es Flüssigkeiten sind, sonst würden die Nano-Tröpfchen nicht so zerfließen“, sagt Helmut Cölfen.

Wenn die Glutamin­säure nach diesem Mechanismus der flüssigen Vorstufe wachsen kann, könnte dies auch für andere Moleküle gelten. Helmut Cölfen denkt insbesondere an neue Formulierungen von Wirkstoffen in Medikamenten. Da sich Flüssigkeit schneller auflöst als ein Feststoff, würden derartige Medikamente schneller wirken. Mit dem Experiment der Arbeitsgruppe Cölfen lässt sich außerdem die Geschwindigkeit messen, mit der die Stufen wachsen, und daraus die Bausteine errechnen, die sich in der Flüssigkeit befinden. „Das trägt zum grund­legenden Verständnis von Kristall­wachstum bei“, so Cölfen. Auch Abweichungen von erwartetem Kristall­wachstum ließen sich damit erklären.

Um die empirische Beobachtung der flüssigen Vorstufe theoretisch beschreiben zu können, müssen Forscher nun neue physikalisch-chemische Theorien des Kristall­wachstums aufstellen. Die entscheidenden Fragen lauten: Wo kommen diese kleinen Bausteine her? Warum werden sie flüssig? Und warum können sie eine Kristall­schicht bilden? Die Arbeitsgruppe von Helmut Cölfen hat das experimentelle Material für die Theorie geliefert.

U. Konstanz / DE

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