Kühlen mit der kältesten Materie der Welt
Neue Kühlmethode für mechanische Quantensysteme könnte zu neuartigen Präzisions-Messinstrumenten führen.
Mithilfe von Laserstrahlen lassen sich die Atome in einer Vakuumkammer einfangen und ihre Bewegung auf Schneckentempo abbremsen. Damit erreicht man Temperaturen von unter einem Millionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt – der Temperatur, bei der alle Bewegung zum Stillstand kommt. Bei solch niedrigen Temperaturen gehorchen die Atome den Gesetzen der Quantenphysik: Sie bewegen sich wie kleine Wellenpakete durch den Raum und können sich in einer Überlagerung von mehreren Orten gleichzeitig befinden. Atomuhren und andere Präzisions-Messinstrumente machen sich diese Eigenschaften zunutze.
Abb.: Eine Wolke von ultrakalten Atomen (rot) wird zur Kühlung der mechanischen Schwingungen einer millimetergroßen Membran (braun, in schwarzem Rahmen) verwendet. Die mechanische Wechselwirkung zwischen Atomen und Membran wird durch einen Laserstrahl und einen optischen Resonator (blaue Spiegel) erzeugt. (Bild: T. Kampschulte, U. Basel)
Kann man solche ultrakalten Gase als Kühlmittel verwenden, mit dem sich andere Objekte ebenfalls auf niedrige Temperaturen abkühlen lassen? Dies würde vielfältige Möglichkeiten zur Untersuchung der Quantenphysik in neuen und möglicherweise größeren Systemen erschließen. Das Problem dabei ist, dass selbst die größten bisher erzeugten Wolken von einigen Milliarden ultrakalten Atomen immer noch viel weniger Teilchen als etwa ein kleines Sandkorn enthalten. Damit ist die Kühlleistung der Atome begrenzt.
Forschern der Universität Basel um Philipp Treutlein ist es jetzt gelungen, mit ultrakalten Atomen die Schwingungen einer millimetergroßen Membran zu kühlen. Die Membran ist ein 50 Nanometer dünner Film aus Siliziumnitrid, der wie das Fell einer kleinen quadratischen Trommel auf und ab schwingt. Solche mechanischen Oszillatoren sind nie ganz in Ruhe, sondern vollführen Schwingungen, die von der Temperatur abhängen. Obwohl die Membran rund eine Milliarde Mal mehr Teilchen enthält als die atomare Wolke, konnten die Forscher einen starken Kühleffekt beobachten, der die Membranschwingungen auf weniger als ein Grad über dem absoluten Nullpunkt abkühlt.
„Der Trick dabei ist, die gesamte Kühlleistung der Atome auf den gewünschten Schwingungsfreiheitsgrad der Membran zu konzentrieren“, erklärt Projektmitarbeiter Andreas Jöckel. Die Wechselwirkung zwischen Atomen und Membran wird mit einem Laserstrahl erzeugt. „Das Laserlicht übt Kräfte auf Membran und Atome aus“, so Jöckel. „Schwingt die Membran, ändert das die Lichtkräfte auf die Atome – und umgekehrt.“ Der Laser überträgt die Kühlwirkung auf diese Weise über Distanzen von mehreren Metern, sodass sich die atomare Wolke nicht im direkten Kontakt mit der Membran befinden muss. Ein optischer Resonator aus zwei Spiegeln, zwischen denen sich die Membran befindet, verstärkt den Kopplungseffekt.
Bislang gab es Systeme, in denen ultrakalte Atome und mechanische Oszillatoren mithilfe von Licht gekoppelt werden, nur in der Theorie. Das Experiment der Universität Basel ist das weltweit erste, in dem ein solches System realisiert und für die Kühlung des Oszillators verwendet werden konnte. Mit weiteren technischen Verbesserungen sollte es möglich sein, die Schwingungen der Membran in den quantenmechanischen Grundzustand zu kühlen.
Die Kühlung mithilfe der Atome ist für die Forscher nur der erste Schritt: „Die gut kontrollierbare Quantennatur der Atome in Kombination mit der lichtinduzierten Wechselwirkung bietet auch neue Möglichkeiten zur Quantenkontrolle der Membran“, sagt Treutlein. Dies könnte Grundlagenexperimente zur Quantenphysik in einem relativ makroskopischen mechanischen System ermöglichen, das mit bloßen Augen sichtbar ist. Zudem ließen sich verschränkte Zustände von Atomen und Membran erzeugen. Diese würden die Messung der Membranschwingungen mit bisher unerreichter Präzision ermöglichen, was wiederum in neuartigen Sensoren für kleine Kräfte und Massen Anwendung finden könnte.
UBas / RK