Künstliche Intelligenz erforscht dunkle Materie
Per maschinellem Lernen selbstständig relevante Informationen aus Himmelskarten gewinnen.
Herauszufinden, wie unser Universum zu dem wurde, was es heute ist, und welches Schicksal es dereinst erwartet, ist eine der größten Herausforderungen der Wissenschaft. Da dunkle Materie das Universum zusammenhält und dunkle Energie es sich ausbreiten lässt, müssen Kosmologen genau wissen, wieviel der beiden Arten es im Kosmos gibt, um ihre Modelle zu verfeinern. An der ETH Zürich versuchen Wissenschaftler jetzt mit Hilfe von künstlicher Intelligenz die Standardmethoden zur Schätzung des Gehalts an dunkler Materie im Universum zu verbessern. Sie verwenden dazu innovative Algorithmen für maschinelles Lernen, welche viel mit denen gemeinsam haben, die von Facebook und anderen sozialen Medien für die Gesichtserkennung benutzt werden.
In Aufnahmen des Nachthimmels gibt es zwar keine Gesichter zu erkennen, doch Kosmologen suchen nach etwas ganz Ähnlichem, wie Team-Mitglied Thomas Kacprzak erklärt: „Facebook benutzt seine Algorithmen, um in Bildern Augen, Münder oder Ohren zu finden. Wir benutzten unsere, um nach den charakteristischen Anzeichen von dunkler Materie und dunkler Energie zu suchen.“
Da dunkle Materie nicht direkt in Teleskopaufnahmen sichtbar ist, vertrauen Astrophysiker darauf, dass alle Materie – auch die dunkle Sorte – die Bahnen von Lichtstrahlen, die von fernen Galaxien auf der Erde ankommen, leicht verbiegen. Dieser schwache Gravitationslinseneffekt verzerrt die Bilder der Galaxien auf subtile Weise. Kosmologen können diese Verzerrung ausnutzen und rückwärts rechnen, um so Massenkarten zu erstellen, die zeigen, wo sich dunkle Materie befindet. Anschließend vergleichen sie diese Massenkarten der dunklen Materie mit theoretischen Vorhersagen, um dasjenige kosmologische Modell zu finden, das am besten mit den Daten übereinstimmt. Normalerweise werden dazu von Menschen entwickelte statistische Größen wie etwa Korrelationsfunktionen verwendet, die beschreiben, wie verschiedene Teile der Massenkarten miteinander in Bezug stehen. Solche Größen sind allerdings nur bedingt nützlich, wenn es darum geht, komplexe Muster in den Massenkarten zu finden.
„In unserer neuesten Arbeit haben wir eine völlig neue Methode benutzt“, erklärt Team-
In einem ersten Schritt trainierten die Wissenschaftler die neuronalen Netzwerke, indem sie sie mit computergenerierten Daten fütterten, die das Universum simulieren. Auf diese Weise kannten sie im Voraus die richtige Antwort für einen bestimmten kosmologischen Parameter – zum Beispiel das Verhältnis der gesamten dunklen Materie zur dunklen Energie – für jede der simulierten Massenkarten. Durch wiederholte Analyse der Massenkarten brachte das neuronale Netzwerk sich selbst bei, darin nach den richtigen Strukturen zu suchen und mehr und mehr der gewünschten Informationen zu extrahieren. Im Facebook-
Die Ergebnisse dieses Trainings waren ermutigend: Die neuronalen Netzwerke fanden Werte, die um dreißig Prozent genauer waren als diejenigen, die mit herkömmlichen, auf menschengemachter Statistik basierenden Methoden erzielt wurden. Für Kosmologen ist das eine enorme Verbesserung, denn um dieselbe Genauigkeit durch mehr Teleskopaufnahmen zu erreichen, würde man die doppelte Beobachtungszeit brauchen – und die ist teuer.
Schließlich benutzten die Wissenschaftler ihr durchtrainiertes neuronales Netzwerk, um echte Massenkarten der dunklen Materie des Datensatzes KiDS-450 zu untersuchen. „Das ist das erste Mal, das solche Werkzeuge des maschinellen Lernens in diesem Zusammenhang verwendet wurden“, sagt Team-
Als nächsten Schritt haben er und seine Kollegen vor, ihre Methode auf größere Datensätze wie den Dark Energy Survey anzuwenden. Zudem sollen mehr kosmologische Parameter und weitere Verfeinerungen, wie etwa Details zum Wesen der dunklen Energie, in die neuronalen Netzwerke eingespeist werden.
ETH Zürich / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
J. Fluri et al.: Cosmological constraints with deep learning from KiDS-450 weak lensing maps. Physical Review D. 100, 063514 (2019); DOI: 10.1103/PhysRevD.100.063514 - Institut für Teilchenphysik und Astrophysik, Dept. Physik, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Schweiz