14.01.2010

Kurzer Prozess im Wassercluster

Den intermolekularen Coulomb-Zerfall haben jetzt deutsche Forschergruppen für Wasser nachgewiesen. Er könnte eine wichtige Rolle bei der Schädigung von biologischem Gewebe durch Strahlung spielen.

Den intermolekularen Coulomb-Zerfall haben jetzt deutsche Forschergruppen für Wasser nachgewiesen. Er könnte eine wichtige Rolle bei der Schädigung von biologischem Gewebe durch Strahlung spielen.

Wird kondensierte Materie von Strahlung ionisiert, so entstehen vor allem energiearme Elektronen. Durch Photoionisation der Atome werden zunächst Elektronen mit hoher Energie freigesetzt, die dann durch vielfache unelastische Stöße abgebremst werden. Doch es geht auch anders, wie Lorenz Cederbaum und seine Kollegen 1997 vorhergesagt hatten. In Clustern von locker aneinander gebundenen Molekülen kann ein ionisiertes Molekül einen Teil seiner Anregungsenergie innerhalb von weniger als 100 fs an ein Nachbarmolekül abgeben, das daraufhin ein niederenergetisches Elektron freisetzt. Dieser bislang vernachlässigte intermolekulare Coulomb-Zerfall trägt erheblich zur Produktion von energiearmen Elektronen bei, wie jetzt Experimente mit Wasserclustern am Synchrotron BESSY II in Berlin gezeigt haben. Die energiearmen Elektronen können biologisches Gewebe schädigen, indem sie die DNS der Zellen aufbrechen.

Abb.: Ein Wasserdimer wird von einem Photon ionisiert und ein energiereiches Photoelektron fliegt davon. Die Anregungsenergie des entstehenden Wasserions wird von einem virtuellen Photon auf das andere Wassermolekül übertragen, das daraufhin ebenfalls ionisiert wird, wobei ein energiearmes Elektron entsteht. (Bild: T. Jahnke al., Nature Physics)

Während Till Jahnke von der Universität Frankfurt und seine Kollegen den intermolekularen Coulomb-Zerfall an einem Wasserdimer untersucht haben, konnten Melanie Mucke und ihre Mitarbeiter vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching diesen Zerfallsprozess auch an großen Clustern aus bis zu 200 Wassermolekülen nachweisen. Beide Forschergruppen benutzten die Synchrotronstrahlung von BESSY II, um die Wassercluster zu ionisieren und den intermolekularen Coulomb-Zerfall in Gang zu setzen. Das von einem Photon getroffene Wassermolekül verliert zunächst ein inneres Elektron, das sich nahe dem Sauerstoffkern befindet und als energiereiches Photoelektron wegfliegt. In das zurückbleibende Loch fällt ein Elektron aus einem äußeren Orbital. Die dabei freiwerdende Energie wird, ähnlich wie beim Auger-Effekt, an ein anderes Elektron abgegeben, das allerdings nicht zum selben Atom sondern zu einem benachbarten Molekül gehört. Es kommt zur Autoionisation und das Elektron fliegt mit einer Energie von wenigen eV davon.

Die Garchinger Forscher haben die beim intermolekularen Coulomb-Zerfall (ICZ) paarweise entstehenden Elektronen durch Koinzidenzmessung identifiziert. Dabei zeigte es sich, dass die Energie des Photoelektrons linear mit der Photonenenergie zunahm, während die Energie des Elektrons, das anschließend durch Autoionisation entstand, konstant blieb. Für die Autoionisation stand also, unabhängig von der Energie der Photonen, stets dieselbe Anregungsenergie zur Verfügung. Wurden im Experiment hingegen Wassermonomere benutzt, so kam es nicht mehr zum ICZ. Erwartungsgemäß traten die energiereichen Photoelektronen nun nicht mehr in Koinzidenz mit energiearmen Elektronen auf, da diese nur durch Abbremsung von energiereichen Elektronen entstanden waren nicht durch Autoionisation.

Wenn in einem Cluster zwei benachbarte Wassermoleküle, die von einer Wasserstoffbrückenbindung zusammengehalten werden, durch ICZ jeweils ein Elektron verlieren, entstehen zwei ungebundene H2O+-Ionen. Da sich die Ionen elektrostatisch abstoßen, fliegen sie explosionsartig in entgegengesetzte Richtungen auseinander. Diesen Prozess haben die Frankfurter Forscher an Wasserdimeren detailliert untersucht. Dazu haben sie in Koinzidenz jeweils die kinetischen Energien der beiden Ionen und der beiden Elektronen gemessen. Aus der Ionenenergie konnten die Forscher den ursprünglichen Abstand der Wassermoleküle im Moment ihrer Ionisation bestimmen. Es zeigte sich, dass die Sauerstoffkerne der beiden Moleküle 2,9 Å voneinander entfernt waren, was mit der Länge der Wasserstoffbrücke zwischen den beiden Molekülen in Einklang steht.

Die ionisierten Wassermoleküle flogen so schnell auseinander, dass das Proton in der Wasserstoffbrücke zwischen den Molekülen keine Zeit hatte, von einem Molekül zum anderen zu wechseln. Folglich traten unter den Reaktionsprodukten keine H3O+- und OH+-Ionen auf. Auch die Frankfurter Forscher fanden, dass aufgrund des intermolekularen Coulomb-Zerfalls energiearme Elektronen in großer Zahl entstanden, und zwar am gleichen Ort und praktisch gleichzeitig mit der Photoionisation. Dieser Entstehungsprozess war bisher unbeachtet geblieben. Die energiearmen Elektronen können sich in den biologischen Zellen an die DNS-Moleküle setzen und sie dazu bringen aufzubrechen. Sie haben somit eine zellschädigende Wirkung. Der intermolekulare Coulomb-Zerfall muss also in Zukunft berücksichtigt werden, wenn man die Wirkung von ionisierender Strahlung auf biologisches Gewebe bewerten will.

RAINER SCHARF

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KP

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