Ladungsradien als Prüfstein neuester Kernmodelle
Übereinstimmung experimentellen Daten mit DFT-Ergebnissen und drei unabhängigen ab-initio-Rechnungen.
Bis heute sind 118 Elemente bekannt, von denen nur sechs eine magische Protonenzahl besitzen: Bei Helium, Sauerstoff, Kalzium, Nickel, Zinn und Blei sind die Schalen, auf denen sich Protonen anordnen, voll besetzt, was ihnen eine besondere Stabilität verleiht. Diese Elemente sind für die Kernphysik das, was die Edelgase für die Chemie und die Atomphysik sind. Das Element Nickel mit 28 Protonen ist eines dieser Elemente. Informationen über den Verlauf der Kernladungsradien entlang der Isotopenkette – als Maß für die Größe des Kerns eines Isotopes – sind äußerst attraktiv für die Entwicklung eines gemeinsamen theoretischen Rahmens, in dem sich alle Kerne, von den leichtesten bis zu den schwersten, konsistent beschreiben lassen.
Ein wichtiger Teil dieses Vorhabens ist die Verbindung von ab-initio-Theorien mit der Dichtefunktionaltheorie. Die ab-initio-Theorie beschreibt Kerne auf der Basis individueller Protonen und Neutronen und den zwischen diesen herrschenden Kräften. Die Dichtefunktionaltheorie basiert auf kontinuierlichen Dichte- und Stromverteilungen der Nukleonen. Ab-initio-Rechnungen waren früher auf leichte Kerne beschränkt, da bei schwereren Elementen aufgrund der wachsenden Nukleonenzahl der Rechenaufwand dramatisch anwuchs. Inzwischen konnte deren Anwendung durch einen großen Fortschritt in der Behandlung von Vielteilchensystemen bis über die Nickelregion hinaus ausgeweitet werden. Die Dichtefunktionaltheorie auf der anderen Seite wurde entwickelt, um sie auch auf Kerne der schwersten bekannten Elemente anwenden zu können. Dafür ist sie aber in der Beschreibung sehr leichter Kerne limitiert. Nickel ist derzeit das schwerste magische Element, auf das beide Modelle angewendet werden können, und daher ein ideales Testfeld.
Die Laserspektroskopie ist die Technik, mit der sich Ladungsradien entlang einer Isotopenkette mit der höchsten Präzision bestimmen lassen. Jetzt haben gleich zwei Experimente Ladungsradien von Nickelisotopen bestimmt. Eines der Experimente fand an der Isotopenfabrik ISOLDE des CERN statt und das andere am National Superconducting Cyclotron Laboratory an der Michigan State University, wobei jede der beiden Einrichtungen ihre spezifische Stärke in der Produktion kurzlebiger Isotope ausnutzte. An ISOLDE wurde eine ganze Isotopenkette vom leichtesten stabilen Isotop 58Ni bis hin zum neutronenreichen 70Ni untersucht.
Die präzise Berechnung von Kernladungsradien ist eine große Herausforderung in der theoretischen Kernphysik. Sowohl bei ab-initio- als auch bei DFT-Berechnungen zu neutronenreichen Isotopen des leichteren magischen Elementes Kalzium gab es Diskrepanzen zu deren experimentellen Werten. Seitdem wurden beide Ansätze verbessert. Die jetzt veröffentlichte Übereinstimmung der experimentellen Daten mit den DFT-Ergebnissen und denen dreier unabhängiger ab-initio-Rechnungen mit Abweichungen von maximal einem Prozent zeigt, dass eine präzise Kerntheorie basierend auf grundlegenden Prinzipien der Kernkraft näher rückt.
TU Darmstadt
Weitere Infos
- Originalveröffentlichungen
S. Malbrunot-Ettenauer et al.: Nuclear Charge Radii of the Nickel Isotopes 58-68,70Ni, Phys. Rev. Lett. 128, 022502 (2022); DOI: 10.1103/PhysRevLett.128.022502
S. V. Pineda et al.: Charge Radius of Neutron-Deficient 54Ni and Symmetry Energy Constraints Using the Difference in Mirror Pair Charge Radii, Phys. Rev. Lett. 127, 182503 (2021); DOI: 10.1103/PhysRevLett.127.182503 - AG Nörtershäuser, Institut für Kernphysik, Technische Universität Darmstadt
- ISOLDE – Isotope Separator On Line Device, CERN – Europäische Organisation für Kernforschung, Meyrin. Schweiz
- National Superconducting Cyclotron Laboratory, Michigan State University, East Lansing, USA