Licht heilt Polymere
Azobenzol-Kunststoffe lassen sich bei Raumtemperatur reversibel verarbeiten.
Robuste Kunststoffoberflächen, bei Möbelstücken oder Produktionsmaschinen, sind heute nicht mehr wegzudenken. Die aus langen Molekülketten bestehenden Polymere sind als Feststoff allerdings schwer zu verarbeiten. Nur im zähflüssigen Aggregatzustand oder als Lösung lassen sie sich beispielsweise als Beschichtungsmaterial gut auftragen. Dafür werden bislang noch umständliche und vor allem umweltschädliche Verfahren eingesetzt.
Abb.: Ultraviolettstrahlung trifft auf ein trans Azobenzol-Polymer und verflüssigt es dadurch zur cis-Konfiguration. Licht kann somit den Aggregatszustand von Azo-Polymeren reversibel verändern. (Bild: Z. Xue)
Das Team von Si Wu, Projektleiter am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz, hat einen schonenderen und reversiblen Weg am Beispiel von Azobenzol-Polymeren entdeckt. In der stabilen trans-Isomerie – gekennzeichnet durch eine planare, also ebene und parallel geordnete Struktur mit einer maximalen Überlappung der Moleküle – liegt die Glasübergangstemperatur von Azobenzol-Polymeren bei etwa 50 Grad Celsius. Die instabilere, räumlich gewinkelte cis-Konfiguration besitzt dagegen eine Erweichungstemperatur von circa -10 Grad Celsius. Dank dieser niedrigen Glasübergangstemperatur ist das letztere Isomer bei Raumtemperatur beweglich beziehungsweise zähflüssig genug, um sich verarbeiten zu lassen.
Indem die Forscher die Lichtschaltbarkeit von Azobenzol nutzen, können sie die Polymere von einer Konfiguration in die andere überführen. Deshalb bestrahlen sie die Polymere mit verschiedenen Wellenlängen: In der trans-Isomerie absorbiert Azobenzol Ultraviolettstrahlung mit 365 Nanometern Wellenlänge. Dies führt dazu, dass das Polymer in die cis-Konfiguration wechselt. In der industriellen Produktionskette kann der Kunststoff nun für den jeweiligen Verwendungszweck geformt werden. Um die räumliche Anordnung anschließend wieder in ein trans-Isomer umzuwandeln, wird das Polymer mit grünem Licht (530 Nanometer Wellenlänge) bestrahlt und erhärtet. Alternativ lässt sich auch durch Wärme der thermodynamisch stabilere trans-Zustand erreichen.
Um die abweichenden Glasübergangstemperatur der beiden Konfigurationen zu ermitteln, haben die Wissenschaftler verschiedene Untersuchungsmethoden eingesetzt. Vor und nach dem Bestrahlen der Stereoisomere haben sie jeweils deren Eigenschaften gemessen, unter anderem mit der Dynamisch-mechanischen Analyse sowie mit der Dynamischen Differenzkalorimetrie. Diese Methoden erfassen die thermischen Eigenschaften von Kunststoffen und zeigen an, ob ein Polymer sich wie ein Feststoff oder eine Flüssigkeit verhält. Zudem lassen sich so die Phasenübergänge, also der Schmelz- und der Siedepunkt, bestimmen.
Umwelt und Unternehmen profitieren gleichermaßen von diesen Erkenntnissen. „Die steigenden Mengen an Plastikmüll sind ein weltweites Problem“, so der Polymerchemiker Wu. „Unsere Ergebnisse tragen dazu bei, die Lebensspanne von Kunststoffen zu verlängern, indem sie bei Beschädigungen einfach verflüssigt, repariert und wieder gehärtet werden können. Die Polymere der Zukunft durchbrechen also den vorschnellen Wegwerf-Kreislauf, weil sie reversibel bearbeitbar sind.“
MPIP / JOL