17.07.2006

Licht im Rückwärtsgang

Ein internationales Team konnte Metamaterialien mit einer negativen optischen Brechzahl direkt nachweisen.



Metamaterialien können qualitativ neuartige optische Eigenschaften besitzen, zum Beispiel eine negative optische Brechzahl. Die resultierende negative Phasengeschwindigkeit des Lichts ist sicher gewöhnungsbedürftig. Kürzlich konnte dieses Phänomen aber ein internationales Team mit Wissenschaftlern aus Karlsruhe und Heraklion direkt nachweisen.

Man könnte die optische Brechzahl n auch als „Langsamkeitsfaktor“ bezeichnen. Schließlich gibt n an, um welchen Faktor die Phasengeschwindigkeit des Lichts im Medium c langsamer ist als die Vakuumlichtgeschwindigkeit c 0, also c=c 0/n. Physikalische Ursache hierfür sind in „normalen“ Materialien wie Glas mikroskopische elektrische Dipole, die vom elektrischen Feld des Lichts angeregt werden, wieder abstrahlen, so andere Dipole anregen usw. Ähnlich wie in einem System von Telegraphenstationen wird die Welle so von Dipol zu Dipol weitergereicht. Insofern ist es nicht überraschend, dass es „langsamer voran geht“ als im Vakuum, dass also meistens gilt n>1.

Seit kurzem ist es mit den Methoden der Nanotechnologie möglich, künstliche effektive Materialien, so genannten Metamaterialien, herzustellen. Mit diesen kann das Licht nicht nur durch elektrische Dipole, sondern auch durch magnetische Dipole beeinflusst werden. Die Maxwellsche Theorie sagt voraus, dass eine negative elektrische Permittivität ε zusammen mit einer negativen magnetischen Permeabilität µ des Materials zu einer negativen Brechzahl führen kann. Mit n<0 wird dann auch die Phasengeschwindigkeit des Lichts im Material negativ. Was soll das eigentlich bedeuten? Kann man die negative Geschwindigkeit direkt in einem Experiment nachweisen?

Dies ist möglich, indem man einen kurzen Laserimpuls durch das Metamaterial laufen lässt und die zugehörige Laufzeit aufnimmt. Bei einer Dicke d >0 und einer Phasengeschwindigkeit c wird die Laufzeit Δt=d/c. Aus n<0 folgt c<0 und damit eine negative Laufzeit Δt<0. Das Maximum eines Wellenberges kommt also früher am hinteren Ende heraus als es an der Vorderseite der Probe eintritt. Da mit der Phase der Welle aber kein Informationstransport verknüpft ist, steht dies nicht im Widerspruch zur Kausalität.

Diesen Effekt konnten wir sichtbar machen, indem wir die Probe in einem Arm eines Michelson-Interferometers installierten. Der Vergleich der beiden Interferogramme „mit Probe“ und „ohne Probe“ zeigte deutlich, dass der Wellenberg „mit Probe“ tatsächlich früher ankommt als ohne. Eine genauere Analyse zeigt sogar, dass es früher ankommt, als es bei c=∞ der Fall wäre. Bei dem verwendeten Metamaterial handelt es sich um eine gitterartige Struktur, die aus drei Lagen besteht: Gold, MgF 2, Gold.

Was bedeutet das für die Geschwindigkeit eines Impulses, die Gruppengeschwindigkeit? Ein Impuls resultiert aus der Überlagerung von Wellen unterschiedlicher Frequenz. Wenn alle Teilwellen des Impulses die gleiche negative Phasengeschwindigkeit haben, bewegt sich natürlich auch der Impuls mit negativer Geschwindigkeit. Das Maximum eines gaußförmigen Impulses kommt also auch früher am hinteren Ende der Probe heraus als das Maximum des einfallenden Impulses am vorderen Ende eingetreten ist. Bei frequenzabhängiger Phasengeschwindigkeit wird die Diskussion komplizierter und alle vier Vorzeichenkombinationen können vorkommen. Zum Beispiel kann die Phasengeschwindigkeit negativ, die Gruppengeschwindigkeit aber positiv sein. Keiner dieser Fälle erlaubt aber eine gegenüber dem Vakuum erhöhte Informationsrate. Zur Informationsübertragung ist eine Sequenz von Impulsen – Bits – erforderlich, ein einzelner Impuls reicht nicht aus. Der zeitliche Abstand zwischen den Bits bleibt derselbe im Vakuum.

Es drängt sich die Frage auf, warum eigentlich Licht durch die Probe gelangt, wenn sowohl Phasen- als auch Gruppengeschwindigkeit des Lichts negativ sind. Dazu muss man sich klarmachen, worauf sich das „negativ“ eigentlich bezieht. Es beschreibt die Richtung der Geschwindigkeiten relativ zur Richtung der Energieausbreitung – Letztere findet also in Vorwärtsrichtung statt. Die experimentellen Ergebnisse sind vollauf im Einklang mit der Maxwellschen Theorie elektromagnetischer Wellen, der Kausalität und der Speziellen Relativitätstheorie, gleichwohl aber stark gewöhnungsbedürftig, weil sie unserer naiven Erwartung widersprechen.

Gunnar Dolling, Stefan Linden, Martin Wegener, CFN, Karlsruhe

Quelle: Physik in unserer Zeit, 4/2006, S. 157

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