Magnetfeld und Laser entlocken Graphen ein Geheimnis
Paradoxes Phänomen könnte Bau von neuartigen Lasern ermöglichen.
Graphen gilt als Wundermaterial: Es ist reißfester als Stahl und leitet Strom und Wärme besser als Kupfer. Als zweidimensionale Schicht, die aus nur einer Lage von Kohlenstoff-Atomen besteht, ist es aber zugleich auch flexibel, fast durchsichtig und rund eine Million Mal dünner als ein Blatt Papier. Schon kurz nach seiner Entdeckung vor zehn Jahren erkannten Wissenschaftler zudem, dass sich die Energiezustände von Graphen im Magnetfeld – die Landau-Niveaus – anders verhalten als die von Halbleitern. „Es wurden viele faszinierende Effekte von Graphen in Magnetfeldern entdeckt, aber die Dynamik von Elektronen hat bislang niemand in einem solchen System untersucht“, erklärt Stephan Winnerl vom HZDR.
Abb.: Obwohl Forscher am HZDR Elektronen in Graphen mit Terahertz-Strahlung (gelbe Spiralpfeile) auf ein bestimmtes Ernergieniveau (LL0) anregen, kommt es zur Umverteilung auf die Niveaus LL-1 und LL1. (Bild: HZDR / Voigt)
Winnerl und seine Kollegen setzten Graphen einem vier Tesla starken Magnetfeld aus – 40 Mal stärker als ein Hufeisenmagnet. Das zwingt die Elektronen im Graphen in ganz bestimmte Energiezustände. Diese Energieniveaus haben die Forscher dann mit Lichtpulsen des Freie-Elektronen-Lasers am HZDR untersucht. „Der Laserpuls regt die Elektronen auf ein bestimmtes Landau-Niveau an. Ein zeitlich versetzter Puls fragt dann ab, wie sich das System entwickelt“, erklärt Martin Mittendorff.
Das Ergebnis der Versuche verblüffte die Wissenschaftler. Nach und nach leerte sich ausgerechnet das Energieniveau, in welches der Laser stets neue Elektronen pumpte. Den paradox wirkenden Effekt veranschaulicht Winnerl an einem Alltagsbeispiel: „Man stelle sich vor, eine Bibliothekarin sortiert Bücher in einem Regal mit drei Böden um. Sie stellt jeweils ein Buch vom unteren Boden in den mittleren. Gleichzeitig hilft ihr Sohn, indem er immer zwei Bücher aus der Mitte nimmt und eins davon in den oberen, das andere in den unteren Boden stellt. Der Junge macht das so eifrig, dass die Anzahl der Bücher im mittleren Boden abnimmt, obwohl seine Mutter ja gerade diesen Boden neu füllen möchte.“
Da es zu solchen Dynamiken zuvor weder Experimente noch Theorien gab, hatte das Team anfangs Probleme, die Signale richtig zu deuten. Doch nach einigen Versuchen fanden die Forscher eine Erklärung: Stoßprozesse zwischen Elektronen verursachen das ungewöhnliche Umsortieren. „Dieser Effekt ist als Auger-Streuung schon länger bekannt, doch niemand hätte erwartet, dass er so stark ist und ein Energieniveau immer leerer räumt“, erläutert Winnerl. Nachdem sich das grundlegende Modell in den Experimenten bewährt hatte, folgte an der Technischen Universität Berlin die theoretische Feinarbeit. Die Berliner Wissenschaftler Ermin Malic und Andreas Knorr bestätigten mit komplexen Berechnungen die Annahmen der Dresdner Gruppe und lieferten detaillierte Einblicke in die zugrundeliegenden Mechanismen.
Die Entdeckung könnte in Zukunft die Entwicklung eines Lasers ermöglichen, der Licht mit beliebig einstellbarer Wellenlänge im Infrarot- und Terahertz-Bereich produzieren kann. „So ein Landau-Niveau-Laser galt lange als unmöglich, doch dank Graphen könnte dieser Traum der Halbleiter-Physiker durchaus wahr werden“, so Winnerl begeistert.
HZDR / RK