17.04.2013

Magnetfeld versetzt Tunnel

Eine relativistische Betrachtung des quantenmechanischen Tunnelprozesses gibt Hinweise, wie lange sich ein Elektron in einer Potenzialbarriere aufhält.

Für den Weg durch einen quantenmechanischen Tunnel brauchen Teilchen offenbar länger, als man bislang annahm. Forscher des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg belegen jetzt, dass es eine sehr kurze, aber messbare Zeit braucht, um das Hindernis zu durchdringen. Das ist ein Ergebnis ihrer theoretischen Studie eines Elektrons, das von seinem Atomkern und einem intensiven Laser bis nahe an die Lichtgeschwindigkeit beschleunigt wird und aus dem Atom heraus tunnelt. Bisher war unklar, ob die Vorstellung, die sich Physiker vom Tunnelprozess machen, unter diesen relativistischen Bedingungen noch haltbar ist. Sogar ob ein Teilchen überhaupt Zeit in der Barriere verbringt oder ob es augenblicklich am Ende der Tunnelstrecke auftaucht, war unter Quantenphysikern bis dato umstritten. Aus der Untersuchung ergibt sich auch, wie sich die Dauer des Tunnelprozesses, die sogenannte Eisenbud-Wigner-Smith-Zeit, messen lässt.

Abb.: Rot steht für eine hohe Aufenthaltswahrscheinlichkeit, ein Blau für eine niedrige. Bei der angenommenen Anordnung des Lasers tunnelt das Elektron nach rechts durch die Potenzialbarriere (grüne Linie). Die Lorentzkraft sorgt für den leichten Bogen. Die graue gestrichelte Linie beschreibt seinen Weg in einem teilweise klassischen, nicht quantenmechanischen Bild. In der quantenmechanischen Betrachtung folgt es am wahrscheinlichsten der schwarzen durchgezogenen Linie. Nur am Rand der Barriere weichen beide Wege voneinander ab. (Bild: Phys. Rev. Lett. / MPIK)


„Unsere Rechnungen erklären außerdem, warum bisherige Messungen im Rahmen der Messgenauigkeiten verschwindende Tunnelzeiten ergaben“, sagt Christoph H. Keitel, Direktor am Max-Planck-Institut für Kernphysik und Leiter der Studie. Bislang haben Forscher gewissermaßen an den falschen Stellen mit der Stoppuhr auf das Elektron gewartet. „Unsere Studie gibt aber Hinweise, wie sich die Eisenbud-Wigner-Smith-Zeit messen lässt“, so Keitel.

Wo und wie Messungen aussagekräftiger werden, leiten die Forscher aus einer theoretischen Betrachtung des Tunnelprozesses ab, in der sie erstmals relativistische Effekte berücksichtigten. Diese treten auf, wenn der Atomkern und die elektromagnetische Kraft eines intensiven Lasers das tunnelnde Elektron fast auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. „Dabei werden heute immer intensivere Lasern eingesetzt, sodass man relativistische Effekte bei der Interpretation der Ergebnisse nicht mehr vernachlässigen darf“, sagt Christoph Keitel. Das gilt unter anderem, wenn etwa ein sehr intensiver Infrarot-Laser ein Elektron dazu bringt, aus dem Atom herauszutunneln.

Dabei ist zum einen die hohe Intensität des Lasers wichtig. Zum anderen muss die Frequenz der elektromagnetischen Welle vergleichsweise niedrig sein, so wie es in infraroter Strahlung der Fall ist. Ist sie zu hoch, wechselt die Kraft des Laserfeldes zu schnell die Richtung: Sie schleudert das Elektron dann zum Atom zurück, ehe es die Barriere, die es im Atom festhalten will, durchtunnelt hat.

„Wir haben bewiesen, dass das Bild des Tunnelns auch für Elektronen, die fast auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt wurden, noch zutrifft“, sagt Michael Klaiber, der am Heidelberger Max-Planck-Institut einen Großteil der Rechnungen vorgenommen hat. Selbstverständlich ist das nicht, weil die Vorstellung eines Elektrons, das durch eine Potenzial-Barriere tunnelt, nur die elektrische Komponente des elektromagnetischen Laserfeldes berücksichtigt. Relativistische Elektronen nehmen dagegen auch die magnetische Komponente des Lichts wahr.

„Das magnetische Feld des Lasers übt dann auf das Elektron die Lorentzkraft aus, die das Elektron auf seinem Weg durch die Barriere leicht verschiebt und auch seinen Impuls verändert“, erklärt Michael Klaiber. Das Elektron verlässt die Barriere daher an einer etwas anderen Stelle, als ohne das Magnetfeld zu erwarten wäre. „Wie weit das Elektron in der Barriere abgelenkt wird, hängt dann von der Stärke des Magnetfeldes und der Dauer des Tunnelprozesses ab“, so Michael Klaiber.

Da die Stärke des Magnetfeldes von der Intensität des Lasers vorgegeben ist, können die Heidelberger Forscher aus der Verschiebung berechnen, wie schnell das Elektron durch den Tunnel saust. Dabei kommen sie zu dem Ergebnis, dass das Elektron theoretisch mit bis zu 70 Prozent der Lichtgeschwindigkeit durch die verbotene Zone fliegt, während es außerhalb der Barriere nur mit einigen Prozent der Lichtgeschwindigkeit startet. Dieses Resultat praktisch, also mit einem Experiment, zu überprüfen, ist jedoch knifflig. Bei den meisten Tunnelversuchen, nähert sich der Weg des Elektrons hinter der Barriere wieder der Bahn an, die es genommen hätte, wenn es das Magnetfeld während des Tunnelns gar nicht gespürt hätte.

Um die Verschiebung des Tunnelausgangs und somit die Tunnelzeit zu messen, müsste man Ort und Impuls des Elektrons also direkt an der Barriere messen. Das ist praktisch nicht möglich. Mindestens ein paar Zentimeter Abstand braucht ein Detektor zum Atom. Doch die Heidelberger Forscher warten mit einer Lösung für dieses Problem auf. Ihren Rechnungen zufolge verwischt der Effekt, den das Magnetfeld auf das tunnelnde Elektron ausübt, nämlich nur, wenn es durch eine lineare, also gleichmäßig steile Barriere tunnelt.

Bislang tunnelten zwar bei den meisten Experimenten Elektronen durch eine lineare Barriere, weil sich der Effekt dann relativ einfach beobachten lässt. Das muss aber nicht so bleiben. Denn der Potenzialwall um einen Atomkern ist in etwa so geformt wie ein Erdwall: Seine Flanken sind gleichmäßig steil, während seine Kuppe sich bis zum Scheitelpunkt auf beiden Seiten allmählich abflacht.

„Statt wie bisher den Tunnelprozess am Fuß des Walls zu beobachten, sollte man ihn nah an der Kuppe messen“, sagt Michael Klaiber. Das ließe sich machen, wenn Experimentatoren einem Elektron mit Laserlicht geeigneter Farbe einen Energieschubs verpassen, der es bis knapp unter den Scheitelpunkt der Barriere befördert. Dann ist es jedoch diffizil, die Elektronen, die so nah an der Kuppe durch den Potenzialwall tunneln, von denjenigen zu unterscheiden, die einfach über die Barriere fliegen. Um den Anteil der tunnelnden Elektronen zu erhöhen, müssen Experimentatoren mit sehr kurzen Pulsen arbeiten, was die Versuche aufwändiger macht. Jedenfalls könnten sie dann den Weg eines Elektrons von ihren Detektoren aus bis zum Tunnelausgang zurückverfolgen. Aus der Verschiebung des Ausgangs ließe sich berechnen, wie lange sich das Teilchen dank der Quantenmechanik dort aufhalten konnte, wo es nach dem Bild der klassischen, nicht quantenmechanischen Physik gar nicht sein darf.

MPG / PH

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