Magnetfelder für perfekte Einkristalle
Eine spezielle Kopplung magnetischer Momente Supraleitern ermöglicht es, kristalline Teilbereiche zu verschieben.
Für die Untersuchung neuer Materialien, wie etwa Hochtemperatursupraleiter, ist es in vielen Fällen wichtig, Messungen entlang unterschiedlicher Richtungen im Kristallgitter vornehmen zu können. Dies setzt aber Kristalle ohne interne Verdrehungen oder Verzwilligungen voraus. Die derzeit intensiv untersuchten Eisenpniktidsupraleiter zeigen Zwillingsdomänen, die bislang nur durch Anlegen eines hohen Druckes vermieden werden konnten. Das ist technisch sehr aufwendig und schränkt die Untersuchungsmöglichkeiten stark ein. So werden etwa in mit Europium-Momenten präparierten Eisenpniktidsupraleitern Zwillingsdomänen mit kleinen Magnetfeldern so verschoben, dass perfekte Entzwilligung erreicht wurde. Dass dieser überraschende und neuartige Effekt auf einer speziellen magnetischen Wechselwirkung zwischen den magnetischen Momenten von Europium und Eisen basiert, zeigen nun die Augsburger Physiker Philipp Gegenwart, Jannis Maiwald und Igor I. Mazin vom Naval Research Laboratory in Washington.
Abb.: Darstellung der für die magnetische Entzwilligung in orthorhombischem EuFeAs relevanten Wechselwirkungen mit einer bi-quadratische Kopplung. (Bild: U. Augsburg, IfP, EKM)
Die meisten Ausgangsverbindungen moderner Hochtemperatursupraleiter, der Eisenpniktide, weisen einen Phasenübergang auf, bei dem sich die Kristallstruktur innerhalb der tetragonalen Ebene verzerrt. Diese Verzerrung führt zur Bildung von Zwillingsdomänen auf Mikrometer-Skala, durch die die Richtungsabhängigkeit wichtiger physikalischer Eigenschaften verschleiert wird. Vor drei Jahren bereits haben Physiker der Universitäten Augsburg, Göttingen, Stuttgart und San Diego einen bemerkenswerten Effekt in der Verbindung EuFeAs entdeckt: Durch Anlegen kleiner Magnetfelder kann man Kristallgitterdomänenwände bei tiefen Temperaturen verschieben und so einen entzwillingten Zustand erreichen. In wachsenden Magnetfeldern kann sogar mehrfach zwischen verschiedenen Kristallausrichtungen hin- und hergeschaltet werden.
Dieser Effekt ermöglicht es, die Richtungsabhängigkeit der Eigenschaften, die als Schlüssel zum Verständnis der Hochtemperatursupraleitung gilt, besser zu untersuchen. Es bedarf hierzu allerdings einer stichhaltigen Erklärung, wodurch dieser Effekt bewirkt wird. Maiwald, Mazin und Gegenwart liefern eine solche Erklärung nun in Form einer umfassenden quantitativen Beschreibung dieser sehr ungewöhnlichen Kopplung zwischen Kristallgitter und angelegtem Magnetfeld: Die untersuchte Verbindung EuFeAs besitzt zwei Sorten magnetischer Momente, die einerseits von stark lokalisierten 4f-Orbitalen der Europiumatome und andererseits von vorwiegend delokalisierten 3d-Orbitalen der Eisenatome stammen. Da Eisenpniktide ohne Europium-Momente kein vergleichbares Verhalten zeigen, liegt es auf der Hand, dass die Europium-Momente eine wichtige Rolle bei der Entzwilligung spielen. Deren Kopplung an das Kristallgitter ist allerdings viel zu schwach, um die Beobachtungen zu erklären.
Der entscheidende Punkt bei der theoretischen Beschreibung war daher die Modellierung der Wechselwirkung zwischen den Europium- und Eisen-Momenten. Aufgrund der symmetrischen Anordnung der Momente in EuFeAs scheidet die normale, lineare Heisenberg-Kopplung aus. „Erst durch die Einführung einer kleinen bi-quadratischen Kopplung, welche die Parallelstellung von Europium- und Eisenmomenten begünstigt, ist es uns gelungen, die experimentellen Beobachtungen zu verstehen und quantitativ exakt zu beschreiben“, berichtet Gegenwart.
Die neue Theorie sagt – über die Beschreibung der bisherigen experimentellen Beobachtungen hinaus – für sehr hohe Magnetfelder weitere schlagartige Änderungen der Kristallausrichtung in der Verbindung EuFeAs voraus. Erste Anzeichen hierfür habe man bereits beobachten können. „Generell“, so Gegenwart, „ermöglicht die magnetfeldinduzierte Entzwilligung eine Reihe neuer Untersuchungsmethoden zum Studium der richtungsabhängigen Eigenschaften von Hochtemperatur-Supraleitern. Damit ergeben sich neue Möglichkeiten, ein verbessertes Verständnis dieser faszinierenden Materialien zu erlangen.“
U. Augsburg / JOL