04.09.2009

Magnetische Monopole im Spineis gesichtet

In Seltenerdverbindungen können magnetische Anregungen in Monopole zerfallen

In Seltenerdverbindungen können magnetische Anregungen in Monopole zerfallen.

Während man negative und positive elektrische Ladungen voneinander trennen kann, ergeben sich beim Zerteilen eines magnetischen Dipols keine isolierten Monopole sondern stets neue Dipole. Trotz intensiver Suche mit Hilfe von Teilchenbeschleunigern oder in der Höhenstrahlung hat man bisher keine magnetischen Ladungen gefunden. Dabei hätte die Existenz auch nur eines einzigen magnetischen Monopols im Universum zur Folge, dass die elektrische Ladung quantisiert sein muss, wie Dirac 1931 gezeigt hatte. Doch neueren Berechnungen zufolge sollten in Spineis, einer exotischen magnetischen Materialklasse, magnetische Anregungen auftreten, die in einzelne magnetische Ladungen zerfallen. Solche Monopole haben jetzt zwei Forschergruppen beobachtet.

 

Abb.: Durch Umklappen eines Spins im untersten Tetraeder entstehen zwei Monopole (rote und blaue Kugeln), von denen sich der obere dank weiterer energieneutraler Spinflips davon bewegt. Zwischen den beiden Monopolen entsteht dabei ein Dirac-String. (Bild: T. Fennel et al.)

Bei einem Spineis sitzen die magnetischen Momente auf einem aus Tetraedern bestehenden Kristallgitter, das dem von Eis entspricht. Im Eiskristall ist jedes Sauerstoffatom von vier Wasserstoffatomen umgeben, die Wasserstoffbrücken mit den vier nächsten Sauerstoffatomen bilden. Dabei sitzen die Wasserstoffbrücken in den gemeinsamen Eckpunkten benachbarter Tetraeder. In jeder Brücke ist das Wasserstoffatom einem der beiden Sauerstoffatome näher als dem anderen, doch stets hat jedes Sauerstoffatom zwei nahe und zwei ferne Nachbarwasserstoffatome. Im Spineiskristall sitzen die Spins ebenfalls auf den gemeinsamen Eckpunkten von benachbarten Tetraedern. Dabei sind sie entweder zum einen oder zum anderen Tetraeder hin gerichtet.

Im Grundzustand des Spineiskristalls zeigen bei jedem Tetraeder zwei Spins hinein und zwei heraus. Diese „Eis-Regel“ sorgt jedoch nicht für vollständige Ordnung, sodass die Korrelation zweier Spins mit ihrer Entfernung schnell abnimmt, wenn auch nicht so schnell wie in einem völlig ungeordneten Paramagneten. Betrachtet man einen Spineiskristall genauer, so stellt man fest, dass er aus Ketten von gleichgerichteten Spins besteht. Symbolisiert man die magnetischen Dipole durch (–+), so sieht eine Kette so aus: …(–+)(–+)(–+)(–+)(–+)(–+)… Durch thermische Anregung kann ein Spin umklappen: …(–+)(+–)(–+)(–+)(–+)(–+)… Wenn es dabei bliebe, wäre das noch nichts Neues.

Doch im vergangenen Jahr hatten Castelnovo, Moessner und Sondhi darauf hingewiesen, dass nach solch einem Spinflip im Spineiskristall monopolartige Anregungen ++ und – – entstehen, die sich nur sehr schwach anziehen und sich deshalb voneinander entfernen können. Ein Zwischenzustand der Spinkette wäre dann: …(–+)(+–)(+–)(+–)(+–)(–+)… Durch weitere, nahezu energieneutrale Spinflips der Spins zwischen den beiden Monopolen, würden diese immer weiter auseinander laufen. Die Spinkette zwischen den beiden Monopolen würde einen sogenannten Dirac-String bilden, wie er auch zwischen „elementaren“ Monopolen im Vakuum auftreten würde. Die Monopole im Spineis sind indes an den Kristall gebunden.

Die magnetischen Monopole und die zwischen ihnen liegenden Dirac-Strings konnten jetzt erstmals in Spineiskristallen experimentell nachgewiesen werden. Tom Fennell vom Institut Laue-Langevin in Grenoble und seine Mitarbeiter haben dazu einen Einkristall aus Ho2Ti2O7 untersucht, während Jonathan Morris vom Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie zusammen mit seinen Kollegen einen Dy2Ti2O7-Einkristall benutzt haben. Beim Dysprosiumtitanat verrieten sich die Monopole für tiefe Temperaturen durch einen charakteristischen Beitrag zur spezifischen Wärme des Kristalls. Nahm die Temperatur weiter zu, so kam es zu immer mehr Spinflips und die Beweglichkeit der Monopole wurde immer mehr eingeschränkt, so dass sie sich nicht mehr wie einzelne Teilchen bewegen konnten. Der Spineiskristall wandelte sich dabei in einen ungeordneten Paramagneten um.

Der eindeutige Nachweis der magnetischen Monopole gelang beiden Forschern durch Neutronenstreuexperimente. Aufgrund ihres magnetischen Moments reagieren die elektrisch ungeladenen Neutronen sehr empfindlich auf magnetische Ordnung in einem Kristall. Die magnetischen Monopole und die Dirac-Strings gehen mit einer magnetischen Ordnung einher, die die Neutronen in sehr charakteristischer Weise ablenkt. Man erhält bei der Neutronenstreuung für bestimmte Impulse „Einschnürungen“ im Beugungsbild, die von beiden Gruppen beobachtet wurden. Bei tiefen Temperaturen unterhalb von 2 K waren die Dirac-Strings demnach mehrere 10 nm lang. Die Monopole hatten sich also über Dutzende von Gitterplätzen auseinander bewegt.

Die magnetischen Monopole im Spineis entstehen, wenn elementare magnetische Anregungen des Kristalls oder Quasiteilchen zerfallen und fraktionale Anregungen bilden, ähnlich denen beim fraktionalen Quanten-Hall-Effekt (FQHE). Doch es gibt einen wichtigen Unterschied: Die Monopole können sich in drei Dimensionen bewegen und sind nicht auf zwei Dimensionen eingeschränkt wie die beim FQHE auftretenden Anregungen. In Spineiskristallen können Festkörperphysiker die ungewöhnlichen Eigenschaften der magnetischen Monopole und Dirac-Strings untersuchen, noch bevor ihre Kollegen aus der Hochenergiephysik diese Gebilde in freier Natur entdeckt haben.

RAINER SCHARF

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