Manchmal ist der Umweg der schnellere Weg
Neue Navigationsstrategien für Mikroschwimmer entwickelt.
Eine ideale autonome Navigation von Mikroschwimmern ist möglich, wie Forscher des MPI für Dynamik und Selbstorganisation zeigen. Im Gegensatz zur zielgerichteten Navigation wie beispielsweise bei Schiffen ist die Bewegung von Schwimmern auf der Mikroskala stark durch Fluktuationen gestört. Die Wissenschaftler haben jetzt eine Navigationsstrategie für Mikroschwimmer entwickelt, die ohne permanente Intervention von außen auskommt. Ihre Erkenntnisse können zum Verständnis von Transportmechanismen im Mikrokosmos beitragen oder auch bei Anwendungen wie der punktgenauen Abgabe von Medikamenten zum Einsatz kommen.
Der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten ist eine gerade Verbindung. Das ist in einer Strömung aber nicht unbedingt gelichzeitig der effizienteste Weg, um eine Strecke zurückzulegen. Komplexe Strömungen beeinträchtigen oft die Bewegung von Mikroschwimmern und erschweren es ihnen, ihr Ziel zu erreichen. Gleichzeitig ist es für diese ein evolutionärer Vorteil, die Strömungen zu nutzen, um so schnell wie möglich ans Ziel zu gelangen. Während derartige Strategien es biologischen Mikroschwimmern ermöglichen, besser an Nahrung zu gelangen oder einem Fressfeind zu entkommen, könnten auch Mikroroboter auf diese Weise auf zielgerichtete Aufgaben programmiert werden.
Der optimale Weg in einer gegebenen Strömung lässt sich zwar mathematisch leicht bestimmen, jedoch stören Fluktuationen die Bewegung der Mikroschwimmer und bringen sie von ihrer optimalen Route ab. Daher müssen sie ihre Bewegung anpassen, um den Veränderungen der Umgebung Rechnung zu tragen. Das erfordert in der Regel die Hilfe eines externen Signalgebers und beraubt die Mikroschwimmer so ihrer Selbstständigkeit.
„Evolutionär haben einige Mikroorganismen autonome Strategien entwickelt, die eine gezielte Bewegung in Richtung einer größeren Nährstoff- oder Lichtkonzentration ermöglichen“, erklärt Lorenzo Piro vom MPI-DS. Inspiriert von dieser Idee haben die Wissenschaftler der Abteilung Physik lebender Materie am MPI-DS Strategien entwickelt, die es den Mikroschwimmern ermöglichen effizient und nahezu autonom zu navigieren.
Wenn ein externer Signalgeber das Navigationsmuster vorgibt, folgen Mikroschwimmer im Durchschnittsmuster einem klar definierten Pfad. Es ist also sinnvoll, den Mikroschwimmer in der Strömung entlang dieses Pfades zu führen. Das kann trotz der Fluktuationen durch externe Stimuli erreicht werden. Dieses Prinzip kann beispielsweise auf Schwimmer angewandt werden, die auf Lichtschwankungen reagieren, wie bestimmte Algen, deren optimaler Weg einfach beleuchtet werden kann. Bemerkenswerterweise sind die resultierenden Ergebnisse mit der von extern kontrollierten Navigation vergleichbar. „Diese neuen Strategien lassen sich auch auf komplexere Szenarien anwenden, wie etwa die Navigation auf gekrümmten Oberflächen oder bei zufälligen Strömungen“, betont Ramin Golestanian, Direktor vom MPI-DS. Mögliche Anwendungen der Studie reichen somit von der gezielten Medikamentenabgabe im Mikromaßstab bis hin zum optimalen Design von autonomen Mikromaschinen.
MPI-DS / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
L. Piro, B. Mahault & R. Golestanian: Optimal navigation of microswimmers in complex and noisy environments, New J. Phys. 24, 093037 (2022); DOI: 10.1088/1367-2630/ac9079 - Physik lebender Materie (R. Golestanian), Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, Göttingen