08.06.2016

Manipulierte Moleküle

Quantenzustand von ultra­kalten Mole­külen präzise kon­trolliert.

Die exakte Kontrolle über den Quantenzustand von Molekülen steht auf dem Wunsch­zettel vieler Forscher ganz weit oben. Kalte Moleküle lassen sich für eine ganze Reihe neuer techno­logischer Anwen­dungen und physi­ka­lischer Grund­lagen­forschung ein­setzen. Im Gegen­satz zu Atomen können sie ein großes Dipol­moment besitzen und sich dadurch über größere Distanzen wechsel­seitig beein­flussen. Das macht kalte Moleküle insbe­sondere für Präzisions­messungen physi­ka­lischer Konstanten und für die Quanten­infor­mations­ver­arbeitung inte­ressant. Man könnte mit ihnen sogar neu­artige dipolare Quanten­materie erzeugen oder zustands­ab­hängige chemische Reaktionen durch­führen. Ein spannendes Anwendungs­gebiet ist auch die Simulation komplexer Quanten­systeme, wie etwa für die Hoch­temperatur-Supra­leitung.

Abb.: Moleküle besitzen ein reiches Spektrum an Vibrations-, Rotations- und Hyper­fein-Zuständen. Forschern gelang es nun, exakte, kontrol­lierte Über­gänge nahe am abso­luten Grund­zu­stand zu realisieren. (Bild: A. Stone­braker / APS)

Die exakte Quanten-Kontrolle von Molekülen hat bislang aber stark mit der Komplexität ihres Spektrums zu kämpfen. Im Gegen­satz zu ultra­kalten Atomen, die man in den letzten Jahr­zehnten gut in den Griff bekommen hat, besitzen Moleküle ein um Größen­ordnungen reich­halti­geres Spektrum. Zu diesem zählen nicht nur elek­tronische, sondern auch Rotations- und Vibrations­zustände, gepaart mit der Struktur der Hyper­fein- und Zeeman-Auf­spaltungen. Forschern um Martin Zwier­lein vom Massa­chusetts Institute of Techno­logy ist es nun gelungen, Moleküle aus Natrium-23 und Kalium-40 mit uner­reichter Präzision kohärent zu kontrollieren.

Die Wissenschaftler sperrten hierzu zunächst ein spin­polari­siertes Ensemble fermio­nischer NaK-Moleküle in einer optischen Falle ein und brachten sie in den absoluten Grund­zu­stand. Hierzu nutzten sie eine Technik, die in ähnlicher Form bereits aus anderen Experi­menten in den letzten Jahren an Kalium-Rubidium-Molekülen bekannt ist. Bei diesen früheren Experi­menten lagen die Moleküle aber in einem optischen Gitter vor, was zwar einer­seits die Kontrolle erleich­tert, jedoch anderer­seits gegen­über einer Molekül­wolke unvor­teil­haft ist, wenn man etwa Konden­sations­phänomene unter­suchen will. Denn bis­lang ist nur in einer Gas­wolke die Phasen­raum­dichte hierfür groß genug.

Das Molekül-Ensemble bestand aus etwa zweitausend NaK-Molekülen, die die Forscher mit Teilchen­dichten von bis zu 5 × 1010 cm−3 ein­sperren konnten. Mit Hilfe von Magnet­feldern und Laser­pulsen brachten Zwier­lein und Kollegen das Ensemble bei einer Temperatur von nur drei­hundert Nano­kelvin in den abso­luten Grund­zustand.

Nun konnten die Forscher die untersten Rotationszustände unter­suchen. So war bisher zum Beispiel nicht bekannt, ob Über­lagerungs­zustände in einem ange­regten Rotations­zustand ähnliche Lebens­dauern besitzen wie im Grund­zustand. Wieviel komplexer als der Umgang mit Atomen die Arbeit mit kalten Molekülen ist, lässt sich schon an der Zahl der Hyper­fein-Zustände ablesen: Im Rotations-Grund­zustand besitzt ein simples Molekül wie NaK immerhin 36 Hyper­fein-Zustände – im nächst­an­ge­regten Rotations­zustand mit J=1 sind es schon 108 Hyper­fein-Zustände!

Um einen Weg durch diesen Dschungel an Zuständen zu finden, mussten die Forscher sich Schritt für Schritt eine Land­karte erstellen. Sie taten dies, indem sie abwech­selnd theore­tische Vorher­sagen und experi­mentelle Werte zu den verschie­denen Reso­nanzen bei wechselnden externen magne­tischen und elek­trischen Feldern verglichen. Dank dieser auf­wändigen Arbeit konnten die Forscher die Moleküle in die gewünschten Zustände diri­gieren. Mit Hilfe eines Mikro­wellen­pulses konnten sie etwa das Ensemble aus dem Grund­zustand in einen Zustand mit J=1 befördern. Ein zweiter Puls brachte es wieder auf J=0, aller­dings je nach Wunsch in einem anderen Hyper­fein-Zustand. Auf diese Weise konnten die Wissen­schaftler Super­positionen von Hyper­fein-Zuständen im Rotations-Grund­zustand erzeugen, was vor allem für die Quanten­infor­mations­ver­arbeitung sehr interessant ist. Dies ließ sich mittels Rabi-Oszil­lationen einstellen.

Um wohldefinierte Dipole zu erzeugen, sind insbesondere Über­lagerungen von Rotations­zuständen erwünscht. Damit lassen sich die Wechsel­wirkungen zwischen den Molekülen gut einstellen, was für Quanten­simula­tionen sehr vorteil­haft wäre. Wie die Forscher am MIT heraus­fanden, ist die Lebens­dauer der Zustände im ersten ange­regten Rotations­zustand erstaun­lich lange und beträgt mit etwas über 3 Sekunden fast soviel wie im Grund­zustand mit gut 4,5 Sekunden. Das verdankt sich den niedrigen Temperaturen und dem dement­sprechend schwachen Einfluss von Kollisionen. Zugleich ermutigt es weiter­führende Unter­suchungen, denn so lang­lebige Zustände sind der Schlüssel für viele Anwendungen.

In Zukunft wollen die Forscher verstärkt versuchen, die Dipol-Dipol-Wechsel­wirkungen in ihrem Molekül­gas gezielt einzu­stellen. Damit ließen sich etwa komplexe Quanten­zustände simu­lieren, wie sie in Hoch­temperatur-Supra­leitern auftreten. Außerdem planen die Wisse­nschaftler, sich für ihre Moleküle die Verdampfungs­kühlung zunutze zu machen und dadurch nach Möglich­keit ein Kondensat zu erzielen. Für kalte Atom­wolken ist die Verdampfungs­kühlung bislang das Mittel der Wahl, um Phasen­raum­dichten zu erzielen, wie sie mit optischen Methoden nicht zu­gäng­lich sind.

Dirk Eidemüller

RK

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