14.07.2009

Mars500-Crew sicher ''gelandet'' - 105-tägige Isolationsstudie beendet

Die Trockenübung in einer 550 Kubikmeter grossen Raumschiff-Attrappe ist für die sechs Mann WG vorüber.


Moskau (dpa) - Nach 105 Tagen weitgehender Isolation stieg der Bundeswehr-Hauptmann Oliver Knickel am Dienstag in Moskau lächelnd aus einem nachgebauten Raumschiff. Seit Ende März hatte der 29-Jährige im Institut für biomedizinische Probleme (IBMP) mit vier Russen und einem Franzosen Teile eines Flugs zum Mars simuliert. «Jetzt haben wir eine Menge Erkenntnisse für nächste Missionen», freute sich DLR-Chef Johann-Dietrich Wörner. Je nach Stellung der Planeten beträgt die direkte Entfernung zwischen Mars und Erde rund 55 bis 400 Millionen Kilometer. Im März 2010 soll in Moskau ein weiterer Test starten, dann für 520 Tage. Eigens hierfür wurde eine virtuelle Marsoberfläche konstruiert, auf der sich drei "Kosmonauten" dann 20 Tage lang aufhalten werden.

Pünktlich um 12.00 Uhr MESZ war das Siegel vor der Luke des röhrenförmigen Modells zerschnitten worden, und die in blaue Overalls gekleidete Crew wurde von Wissenschaftlern in Empfang genommen. «Kapitän» Sergej Rjasanski erstattete den IBMP-Forschern Bericht, dann stellte sich die Crew winkend den Journalisten. Dabei war die «Landung» völlig anders als bei sonstigen russischen Missionen: Hier schlagen Sojus-Kapseln oft hart in der kasachischen Steppe auf. Aber die holzvertäfelten Container rührten sich ja auch in Wirklichkeit keinen Millimeter von der Stelle. «Da ist Fantasie gefragt», hatte der gebürtige Düsseldorfer Knickel vor dem «Start» eingeräumt. Für den Test hatte sich Knickel gegen 5600 Bewerber durchgesetzt.  

Bei dem Mars500-Container handelt es sich um ein röhrenförmiges Modulsystem mit einer Wohn- und Arbeitsfläche von 180 Quadratmetern. Hinzu kommen Kühlzellen für die Nahrungsmittel sowie eine Quarantänestation. Das Gravitationsfeld und der Luftdruck sind unbeeinflusst, der Sauerstoffgehalt wird in regelmäßigen Abständen angeglichen. Der Funkverkehr zur "Bodenstation" und zurück erfolgt mit bis zu 40-minütiger Verzögerung.  

Abb.: Die sechs Mann WG der 105-tägigen Mars500-Mission: Oliver Knickel (Deutschland), Cyrille Fournier (Frankreich), Commander Sergey Ryazanskiy, Aleksey Baranov, Aleksey Shpakov und Oleg Artemiev (alle Russland). (Bild:ESA)

Die sechs Probanden werden in den kommenden Tagen gründliche Untersuchungen absolvieren, bevor sie zu ihren Angehörigen zurückkehren. Im Mittelpunkt der Mars500-Studie steht die Frage: Wie kann die physische und psychische Leistungsfähigkeit eines Menschen unter den extremen Bedingungen einer Langzeit-Weltraummission aufrechterhalten werden? Dazu gehört es zum Beispiel über eine Dauer von mehreren Monaten Stoffwechselprodukte und Blutdruckwerte der Mars500-Teilnehmer zu sammeln. Bei der streng kontrollierten Nahrungsmittelzufuhr wechselten sich Hochsalz- und Niedrigsalzphasen ab. Die Auswertung der Messergebnisse der "elektronischen Nase", eines Sensorsystems zur Detektion mikrobakterieller Verunreinigung, ergab bisher keine gravierenden Veränderungen der künstlichen Atmosphäre im Modulsystem.

Bei einer solchen Reise lerne man «nicht nur den Mars, sondern auch den Menschen» besser kennen, schrieb der Franzose Cyrille Fournier in Anspielung auf die räumliche Enge in dem 550 Kubikmeter großen Modul in das von der Crew geführte Tagebuch. Nachdenklich wurde der Air-France-Pilot auch nach dem Absturz des französischen Airbus mit 228 Menschen vor Brasilien Anfang Juni, über den ihn die Moskauer «Bodenstation» informierte. «Leben bedeutet Risiko, und Experimente wie das unsere sollen helfen, das Risiko zu verkleinern.»

Abb.: Das Mars500-Modulsystem in Moskau (Bild:ESA)

 

Obwohl man in dem Modul zum Beispiel auf Schwerelosigkeit verzichtete, soll das Langzeit-Experiment laut Wörner Wissen für eine echte Mission zum Roten Planeten «in 30 bis 40 Jahren» bringen. In der Realität würde eine solche Reise wahrscheinlich fast zwei Jahre dauern. Wie bei «Big Brother» übertrugen Kameras in dem fensterlosen Container das Geschehen in einen benachbarten Kontrollraum. Der nahezu isolierte Alltag wurde unter anderem von Forschern der Universität Erlangen überwacht. An dem rund 15 Millionen Euro teuren Experiment war auch die Europäische Weltraumbehörde ESA beteiligt.

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Das Institut für biomedizinische Probleme (IBMP) der Russischen Akademie der Wissenschaft ist Russlands führende Institution in der Grundlagenforschung für Weltraumbiologie und -medizin, für die biomedizinische Unterstützung bemannter Raumflüge, für die Entwicklung von Verfahren zur Gewährleistung der Sicherheit und Effektivität von Raumfahrzeug-Besatzungen sowie für die Erhaltung von deren Gesundheit und Leistungsfähigkeit unter Extrembedingungen.

Wolfgang Jung,dpa/DLR/ESA/KP

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