Maßgeschneiderte elektronische Materialien
Eigenschaften von Strontium-Iridium-Oxid-Filmen lassen sich durch Verzerrung gezielt einstellen.
Für zukünftige magnetische Datenspeicher suchen Wissenschaftler nach geeigneten Materialien mit Eigenschaften, die sich möglichst wunschgemäß einstellen lassen. Forscher des Paul-Scherrer-Instituts in der Schweiz haben jetzt grundlegende Erkenntnisse über ein vielversprechendes Material gewonnen. In ihren Experimenten mit dem Strontium-Iridium-Oxid Sr2IrO4 untersuchten sie gleichzeitig den Magnetismus sowie die elektronischen Eigenschaften von dünnen Materialfilmen und analysierten, wie sich diese Eigenschaften durch Verzerrung der Filme gezielt einstellen lassen.
„Das Stichwort unserer Forschung heißt Spintronik“, sagt Thorsten Schmitt, Leiter der PSI-Forschungsgruppe für Spektroskopie neuartiger Materialien. Die Spintronik nutzt nicht nur die elektrische Ladung des Elektrons, sondern auch seinen Spin, um bessere elektronische Bauteile zu entwickeln. Anwendungen der Spintronik gibt es bereits heute in Festplatten. Dabei kommen bislang Materialien zum Zug, die normal magnetisch sind – Ferromagnete wie Eisen oder Nickel, bei denen die Spins parallel zueinander ausgerichtet sind. Das Problem: Ferromagnetische Bits müssen relativ weit auseinanderliegen, damit sie sich nicht gegenseitig stören.
Besonders viel versprechen sich die Experten daher vom Einsatz antiferromagnetischer Materialien, bei denen die Spins in entgegengesetzte Richtungen weisen. Antiferromagnete sind deshalb von außen betrachtet magnetisch neutral. Ein antiferromagnetisches Bit würde darum seine Nachbarn nicht stören. „Diese Bits ließen sich daher enger packen, wir hätten also mehr Daten auf dem gleichen Raum“, sagt Schmitt. „Außerdem ließen sich diese Daten schneller ein- und auslesen.“
Das untersuchte Strontium-Iridium-Oxid ist ein solches antiferromagnetisches Material. Es handelt sich um einen Kristall, innerhalb dessen Iridium- und Sauerstoff-Atome winzige Oktaeder bilden. Die Forscher bezeichnen dies als Perowskit-Struktur. Es ist ein ideales Material, um seine funktionalen Eigenschaften gezielt zu manipulieren.
Um solche Manipulationen durchzuführen und mehr über die Eigenschaften des vielversprechenden Materials zu erfahren, brachten die Forscher eine dünne, kristalline Sr2IrO4-Schicht jeweils als Hauptfilm auf verschiedene kristalline Trägermaterialien auf. Der Trick dabei: Das Trägermaterial sorgt dafür, dass die Kristallstruktur des aufgetragenen Films verzerrt wird. „Es ist, als ob wir unser Material auf der Ebene der Atome ziehen oder zusammendrücken würden“, erklärt Schmitt. In der Folge verdrehen und verschieben sich die Perowskit-Oktaeder leicht gegeneinander. Das schließlich führt dazu, dass sich die Eigenschaften des Materials als Ganzes verändern.
Der Clou: Mit dieser Methode lassen sich die magnetischen und elektronischen Eigenschaften des Materials gezielt und besonders fein einstellen. Und da in elektronischen Komponenten diese Art Materialien ohnehin in Form dünner Filme verwendet werden, liegen Anwendungen in diesem Bereich nahe.
Um ihre Materialproben detailliert zu untersuchen, verwendeten die Forscher eine spezielle Röntgentechnik, die am PSI entscheidend weiterentwickelt wurde, die resonante inelastische Röntgenstreuung RIXS. Mit RIXS führten die Forscher Experimente mit weichem Röntgenlicht durch. Weitere Präzisionsmessungen mit harter Röntgenstrahlung an der European Synchrotron Radiation Facility in Grenoble und der Advanced Photon Source in Argonne in den USA ergänzten die Arbeiten.
„Mit vielen Methoden schaut man sich entweder den Magnetismus oder die elektronischen Eigenschaften genau an“, erklärt Schmitt. „Mit RIXS dagegen können wir beide Eigenschaften in der gleichen Messung untersuchen und somit direkt miteinander in Relation setzen. Kurz gesagt: Wir haben ein globales Bild unserer Probe angestrebt und auch erhalten.“ Unter anderem konnten die Forscher nachvollziehen, wie sich die elektronischen Eigenschaften ändern, wenn das Kristallgitter des Sr2IrO4-Films verzerrt wird, und wie diese Dynamik mit der Änderung des Magnetismus gekoppelt ist. Beides geht Hand in Hand – und liefert wichtige Erkenntnisse für potenzielle Anwendungen.
Konkret konnte die Gruppe das Strontium-Iridium-Oxid so modifizieren, dass die magnetischen Eigenschaften ähnlicher zu einer anderen Klasse spannender Materialien werden, den Hochtemperatur-Supraleitern aus Kupferoxiden, auch Kuprate genannt. Diese weisen ebenfalls eine perowskitähnliche Struktur auf. In ihrem Experiment zogen und verdrehten die Forscher den Sr2IrO4-Film so, dass sich die Abstände der Kristallgitterstruktur vergrößerten und sich zusätzlich eine Rotation einstellte.
„So ist es uns gelungen, das Material einem Kuprat ähnlicher zu machen“, sagt Schmitt. „Allerdings hat man damit noch lange keinen neuen Supraleiter.“ Auch bis die aktuellen Erkenntnisse zu neuen Anwendungen in der Datenspeicherung führen könnten, dürften seiner Meinung nach noch zehn oder zwanzig Jahre vergehen. „Unsere Aufgabe sind Grundlagenstudien, die aber von immenser Wichtigkeit sind, um bei der Entwicklung von neuen Materialien die entscheidenden Schritte in die richtige Richtung zu machen.“
PSI / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
E. Paris et al.: Strain engineering of the charge and spin-orbital interactions in Sr2IrO4, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A., online 21. September 2020; DOI: 10.1073/pnas.2012043117 - Spektroskopie neuartiger Materialien (T. Schmitt), Paul-Scherrer-Institut, Villigen, Schweiz