26.09.2016

Maßgeschneiderte Petrischalen

Erwin-Schrödinger-Preis ehrt drei Karlsruher Forscher für neues Verfahren dreidimensionaler Zellkultivierung.

Der dreidimensionale Druck ist ein weltweiter Trend, der in immer mehr Anwendungs­gebieten zum Einsatz kommt, etwa der Spielzeug- oder Automobil­industrie. Im Mikro- und Nano­bereich könnte er vor allem bei der künstlichen Herstellung von biologischem Gewebe („Tissue Engineering“) neue Erkenntnisse bringen, etwa bei der Fertigung von 3D-Designer-Petrischalen. Drei Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) haben eine Methode entwickelt, um flexible und drei­dimensionale Mikro­gerüste aufzubauen, in denen sie Zellkulturen in einem maß­geschneidertem Milieu züchten und erforschen können. Dafür erhalten sie den Erwin-Schrödinger-Preis der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

Abb.: Dreidimensionale Mikrogerüste für die Kultivierung einzelner Zellen (Aktinfärbung in grün), die durch photochemische Prozesse mit zwei unterschiedlichen Proteinen (rot, magenta) gezielt funktionalisiert wurden. (Bild: B. Richter, KIT)

„Die Stärke der Forschung des KIT zeigt sich nicht nur in den Kompetenzen und der Leistungs­fähigkeit der einzelnen Wissenschaftlerin und des einzelnen Wissenschaftlers, sondern auch in ihrer Motivation, gemeinsam und über Fachgrenzen hinweg heraus­fordernde Forschungs­aufgaben zu bewältigen“, sagt der Präsident des KIT, Holger Hanselka. „Der Erwin-Schrödinger-Preis für die Professoren Bastmeyer, Wegener und Barner-Kowollik bestätigt den Erfolg der inter­disziplinären Zusammen­arbeit, um gemeinsam höchst innovative Ideen zu entwickeln und neue Forschungsfelder zu erschließen.“

„Jedes Lebewesen besteht aus Zellen, deren Verhalten und Entwicklung auch von den mechanischen und chemischen Eigenschaften ihrer drei­dimensionalen Umgebung abhängt“, sagt Martin Bastmeyer vom Zoologischen Institut und vom Institut für Funktionelle Grenz­flächen des KIT. „Um Zellen adäquat zu erforschen, ist es daher wichtig, die Prozesse, die in dieser Umgebung ablaufen, möglichst real abzubilden.“ Aktuelle experimentelle Modelle seien jedoch häufig nur für die Zell­kultivierung in zwei­dimensionalen Petri­schalen ausgerichtet und könnten die Zell­umgebung nicht hinreichend abbilden. Vor allem in Bezug auf Aufbau, Entwicklung und Inter­aktion zwischen Zellen untereinander sowie deren Umgebung unterschieden sich diese Modelle oft erheblich von drei­dimensionalen. „Der Mangel an adäquaten Modellen schränkt die derzeitigen Möglichkeiten in Bezug auf das Tissue Engineering stark ein“, so Bastmeyer.

Um dreidimensionale Mikrogerüste für die Zell­kultivierung zu erstellen, wandte sich der Biologe an seinen Kollegen Martin Wegener, Professor am Institut für Angewandte Physik und Abteilungs­leiter am Institut für Nano­technologie. Dieser befasst sich mit der laserbasierten Litho­graphie: „Bei dieser Technik schreiben wir sozusagen die Gerüste mit einem Laser in einen speziellen Photo­lack, der nur an den Stellen im Raum aushärtet, die mit dem Laserfokus belichtet wurden“, erklärt der Physiker. Nachdem das Schreiben abgeschlossen ist, entwickeln die Forscher die Strukturen, indem sie die unter­belichteten Bereiche auswaschen. Die gehärteten Teile bleiben und bilden das Gerüst. „Die Strukturen, die wir so erstellen, sind insgesamt kleiner als ein Haar dick ist, also etwa fünfzig Mikrometer“, sagt Wegener.

Abb.: Die Preisträger Christopher Barner-Kowollik, Martin Bastmeyer und Martin Wegener (v.l.n.r.; Bild: Behrendt / Breig / M. Wegener / KIT)

Damit aus diesen Mikrogerüsten Petri­schalen für die Zell­kultivierung werden, müssen sie mit einer biochemisch aktiven Oberfläche ausgestattet werden. Christopher Barner-Kowollik vom Institut für Technische Chemie und Polymer­chemie hat in enger Zusammen­arbeit mit den Arbeits­gruppen von Wegener und Bastmeyer Photolacke entwickelt, welche zu funktionalen Gerüst­strukturen führen. „Diese Lacke sind bioorthogonal, das heißt, sie erlauben die Zell­anhaftung, ohne die eigenen biologischen Prozesse der Zelle zu beeinflussen“, erklärt Barner-Kowollik. Auf den Gerüst­oberflächen können an spezifischen Punkten durch gezielte photo­chemische Prozesse Biomarker angebracht werden, auf welche die Zellen reagieren. So können die Forscher verschiedene Signal­moleküle flexibel am Gerüst anbringen, um das Verhalten der dort angezüchteten Zellen präzise und orts­aufgelöst zu untersuchen.

Da die Photolacke von Barner-Kowollik zu Gerüststrukturen mit reaktiver Oberfläche führen, an der die Forscher komplexe biologische Marker anbringen können, kann Bastmeyer die Zellen direkt an den von Wegener erzeugten Gerüsten anzüchten.

Mit diesen 3D-Gerüsten hat das Team bereits erfolgreich Herz­muskel­zellen, Binde­gewebs­bildungs­zellen und Stamm­zellen gezüchtet und untersucht. Das Zell­verhalten in der künstlichen Umgebung ist sehr nah an dem in natürlicher Umgebung und unterscheidet sich deutlich von dem an 2D-Oberflächen. Die leichte Herstellung von flexiblen Designer-Petrischalen kann eine breite Palette von Möglichkeiten für die Züchtung biologischen Gewebes bieten, das sich in der Medizin einsetzen ließe, etwa um krankes Gewebe bei Patienten zu ersetzen oder zu regenerieren.

Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und die Helmholtz-Gemeinschaft zeichnen das Trio für ihre inter­disziplinäre Zusammenarbeit am „3D-Laserdruck funktionalisierter Mikro­strukturen“ mit dem Erwin-Schrödinger-Preis aus. Der Preis ehrt seit 1999 Forscher, welche die Grenzen zwischen verschiedenen Fächern der Medizin, Natur- und Ingenieur­wissenschaften überschreiten und heraus­ragende wissenschaftliche oder technisch innovative Leistungen erbracht haben. Der Preis ist mit 50.000 Euro dotiert.

KIT / DE

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