Materialstau im Erdmantel
Änderungen der Viskosität behindern Materialfluss im unteren Erdmantel.
Von der Erdkruste bis hinunter zum Erdkern setzt sich die Erde aus mehreren übereinander gelagerten Schichten zusammen. Unterhalb der Kruste, die nur rund 40 Kilometer dick ist, befindet sich der Erdmantel. Dieser besteht aus dem oberen Mantel, der in einer Tiefe von rund 660 Kilometern endet, sowie dem unteren Mantel, der bis in eine Tiefe von 2900 Kilometern hinabreicht. Darunter beginnt der Erdkern. Diese Schichten lassen sich deshalb klar voneinander unterscheiden, weil sie jeweils andere Materialien enthalten.
Abb.: Gesteinsmaterial staut sich oberhalb der hochviskosen Schicht an. Falls es diese „Wand“ doch durchdringen kann, wird das Absinken in die Tiefe möglicherweise beschleunigt. (Bild: H. Marquardt, BGI)
Hauke Marquardt, der am Bayerischen Geoinstitut (BGI) der Universität Bayreuth eine von der DFG geförderte Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe leitet und zuvor am GeoForschungsZentrum Potsdam tätig war, und Lowell Miyagi von der University of Utah in Salt Lake City waren an der Entdeckung beteiligt. Gemeinsam haben sie starke Indizien für eine bisher unbekannte „Schicht“ gefunden, die sich innerhalb des unteren Erdmantels in einer Tiefe von etwa 1500 bis 1700 Kilometern erstreckt. Diese Schicht zeichnet sich allerdings nicht durch besondere Materialien aus. Sie ist vielmehr dadurch definiert, dass ein Hauptbestandteil des unteren Erdmantels – nämlich das Mineral Ferroperiklas – hier in einer außergewöhnlich hohen Viskosität vorliegt. Daraus resultiert eine enorme Festigkeit und Steifigkeit. Andere Materialien können diese Erdschicht nicht oder nur sehr schwer durchdringen.
Mit der Existenz einer derart hochviskosen Erdschicht können die Geowissenschaftler seismische Beobachtungen erklären, die der Forschung bisher Rätsel aufgegeben haben, so Marquardt. Zwischen der Erdkruste und dem unteren Erdmantel in einer Tiefe bis zu 2900 Kilometern findet ein ständiger Materialkreislauf statt. Vor allem durch Vulkane und an mittelozeanischen Rücken gelangt festes und geschmolzenes Gestein an die Oberfläche. Hingegen wird Material aus der Erdkruste in die Tiefe transportiert, wenn zwei Erdplatten an ihren Kanten hart aneinanderstoßen und sich die eine der beiden Platten unter die andere schiebt. Diese Subduktion tritt besonders häufig an den Nahtstellen von ozeanischen und kontinentalen Platten auf. Denn ozeanische Platten haben eine höhere Dichte als kontinentale Platten. Sie weichen bei einem Zusammenprall nach unten aus und schieben sich unter die jeweilige kontinentale Platte. Hier tauchen sie in den Erdmantel ein, so dass das aus der Erdkruste stammende Material immer weiter ins Erdinnere absinkt.
„Dieser Prozess gerät jedoch häufig ab einer Tiefe von rund 1.000 Kilometern ins Stocken“, erklärt Hauke Marquardt. „Seismische Beobachtungen deuten darauf hin, dass sich ab dieser Tiefe immer größere Gesteinsmengen ansammeln. Bisher hat die Forschung keine überzeugende Erklärung für diesen Materialstau im unteren Erdmantel gefunden. Nimmt man jedoch an, dass eine hochviskose und daher schwer zu durchdringende Erdschicht die Abwärtsbewegung des Materials bremst, wird sofort plausibel, weshalb wir an vielen Stellen dicht oberhalb von 1500 Kilometern große Mengen von Krustenmaterial beobachten können.“
Abb.: Blick ins Innere einer Diamantstempelzelle (Bild: H. Marquardt, BGI)
Wie sind die Geowissenschaftler in Bayreuth und den USA auf die Existenz einer hochviskosen Erdschicht gestoßen? Empirische Materialuntersuchungen „vor Ort“ sind im unteren Erdmantel unmöglich. Doch mithilfe von Diamantstempelzellen kann man im Bayerischen Geoinstitut winzige Gesteinsproben extrem hohen Drücken aussetzen, wie sie im Erdinneren herrschen. Dabei wird jede Probe von zwei einander gegenüberliegenden Diamanten zusammengepresst, die an ihrer Spitze nicht viel breiter sind als ein menschliches Haar. Auf diese Weise haben Marquardt und Miyagi mehrere tausend Ferroperiklas-Kristalle steigenden Drücken unterworfen: beginnend mit 20 Gigapascal, die an der Grenze zwischen dem oberen und dem unteren Erdmantel herrschen, bis hin zu fast 100 Gigapascal, wie sie im unteren Erdmantel in rund 2200 Kilometern Tiefe gegeben sind. Zum Vergleich: Würde man den Eiffelturm in der Handfläche balancieren, entstünde dabei ein Druck von 10 Gigapascal.
Die unter diesen extremen Drücken gepressten Ferroperiklas-Kristalle haben die beiden Wissenschaftler am Lawrence Berkeley National Laboratory in Kalifornien auf ihre Strukturen hin untersucht. Dabei kamen Röntgenstrahlen zum Einsatz, die im dortigen Teilchenbeschleuniger erzeugt wurden. Es stellte sich heraus, dass die Ferroperiklas-Kristalle, die mit 65 Gigapascal zusammengepresst wurden, eine ungefähr dreimal höhere Festigkeit – und damit eine erheblich höhere Viskosität – aufweisen als die Kristalle, die lediglich einen Druck von 20 Gigapascal aushalten mussten. Bei einer Mischung von Ferroperiklas mit Bridgmanit, dem zweiten Hauptbestandteil des unteren Erdmantels, steigt mit einer derartigen Druckerhöhung die Viskosität um das 300fache an.
„Ferroperiklas ist das häufigste Material im unteren Erdmantel, wo es netzwerkartige Strukturen ausbilden kann. Wenn nun die Festigkeit dieses Materials bis rund 1500 Kilometern Tiefe so stark zunimmt, ist für Gesteinsmaterial, das infolge von Subduktionsprozessen in die Tiefe sinkt, hier möglicherweise kein Durchkommen“, erläutert Marquardt.
Falls es einigen Gesteinsmassen dennoch gelingt, diesen Riegel zu überwinden, dürfte sich ihre Abwärtsbewegung wieder beschleunigen. Denn wie andere geowissenschaftliche Studien gezeigt haben, verringert sich die Viskosität im unteren Erdmantel ab einer Tiefe von etwa 1700 Kilometern. Unter dieser Voraussetzung kann Gestein aus der Kruste, sobald es unterhalb der hochviskosen Schicht angekommen ist, bis tief in den unteren Erdmantel und weiter bis zum Erdkern vordringen.
Die Indizien für eine Erdschicht, die eine außergewöhnlich hohe Viskosität aufweist, haben für die geophysikalische Forschung noch weitere Konsequenzen. Wenn ein stetiger Materialkreislauf zwischen der Kruste und dem Erdmantel durch eine solche Erdschicht systematisch gestört wird, kann auch weniger Hitze aus dem tiefen Erdinnern an die Erdoberfläche entweichen. Möglicherweise herrscht am unteren Ende des Erdmantels und im Erdkern eine viel größere Hitze, als bisher angenommen.
Zudem halten Marquardt und sein amerikanischer Kollege es für möglich, dass die Blockade des absinkenden Gesteinsmaterials Erdbeben verursachen kann. Normalerweise werden Erdbeben durch Spannungen ausgelöst, die innerhalb der Erdkruste – also relativ dicht unterhalb der Erdoberfläche – entstehen. Wenn aber Gesteinsmassen auf ihrem Weg in die Tiefe gegen eine „Viskositätswand“ stoßen und abgebremst werden, kann sich das nachfolgende Gestein aufstauen und aufreißen. In diesem Fall kommt es zu Erdbeben in höheren Tiefen, die ihre Ursache aber in Prozessen im unteren Erdmantel haben.
Schließlich verweisen die beiden Wissenschaftler auf Forschungsergebnisse, wonach sich ozeanische Vulkane hinsichtlich der Eigenschaften und der Zusammensetzung des von ihnen ausgeworfenen Magmas auffallend unterscheiden. Oftmals handelt es sich dabei um relativ junges Material aus aufgeschmolzener Erdkruste. In anderen Fällen aber gelangt älteres Gestein an die Oberfläche, das eine andere chemische Zusammensetzung hat und möglicherweise einem tieferliegenden Reservoir entstammt. Die Unterschiede in der Magmenzusammensetzung lassen sich damit erklären, dass die hochviskose Schicht die Durchmischung des Erdmantels vermindert: Es findet nur ein geringer Austausch der Materialien statt, die sich oberhalb und unterhalb dieser Schicht befinden.
U. Bayreuth / DE