17.08.2023 • Relativitätstheorie

Materie aus dem Nichts

Theoretiker bestimmen das extrem kurze Zeitfenster, in dem Elektronen aus starken elektrischen Feldern im Vakuum entstehen können.

Sowohl Spaltung als auch Fusion von Atomkernen sind reale Beispiele, wie aus wenig Masse gewaltige Energie­mengen hervorgehen können. Umgekehrt gelangen bisher allerdings nur wenige Experimente, wie etwa die Bildung von Paaren aus Elektronen und Positronen bei der Kollision energie­reicher Gamma-Photonen. Einen weiteren theoretisch möglichen Pfad für diese Paarbildung eröffnen extrem starke elektrische Felder in einem Vakuum, aus denen spontan Elektronen und Positronen hervorgehen können. Genau dieses Phänomen konnten Christian Kohlfürst vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf, sowie Matthias Diez und Reinhard Alkofer von der Uni Graz jetzt mit aufwändigen Berechnungen detail­lierter als bisher beschreiben.

Abb.: An der Helmholtz Inter­national Beam­line for Extreme Fields, die das...
Abb.: An der Helmholtz Inter­national Beam­line for Extreme Fields, die das HZDR am Euro­pean XFEL in Schene­feld be­treibt, werden extrem inten­sive optische Laser­strahlen mit ultra­kurzen Röntgen­pulsen zur Kol­li­sion ge­bracht. (Bild: HZDR / Science Commu­ni­ca­tion Lab)

Masse kann in Energie und umgekehrt Energie in Masse umgewandelt werden. Dieses Gesetz der Äquivalenz von Masse und Energie geht auf die Spezielle Relativitäts­theorie zurück, die Albert Einstein 1905 aufgestellt hat und mit seiner wohl berühmtesten Formel E=mc2 beschreibt. „Ein völlig leerer Raum, also ein Vakuum, verliert seine Stabilität, wenn dort extrem starke elektrische Felder herrschen“, sagt Christian Kohlfürst. Instabil bedeutet, dass das Vakuum eben nicht mehr völlig leer ist, also Materie in Form von Elektronen und Positronen entsteht. Nötig sind dafür elektrische Spannungen von etwa einer Trillion Volt pro Meter – Werte, die selbst die Hochspannung von Blitzen um viele Größen­ordnungen übersteigen.

Doch das hindert Kohlfürst und seine Kollegen nicht, sich diesen extremen Bedingungen theoretisch mit komplexen Modellen und Berechnungen zu nähern. Damit treten sie in die Fußstapfen von berühmten Vorgängern. Denn erstmals schlug der öster­reichische Physiker Fritz Sauter diesen Effekt bereits 1931 vor. Eine weiter­reichende theoretische Erklärung gelang dem amerikanischen Physik-Nobelpreis­träger Julian Seymour Schwinger zwanzig Jahre später. Beide sind heute die Namens­patronen dieses Sauter-Schwinger-Effekts.

Kohlfürst und Team ergänzen die bisher aufgestellten Theorien um einen wesentlichen Aspekt. Ihnen gelang es, das Zeitfenster einzu­grenzen, in dem aus starken elektrischen Feldern Materie entsteht. „Dieser Prozess verläuft nicht instantan, also ohne jeden Zeitverlust. Es dauert ein bisschen, bis sich Elektronen und Positronen gebildet haben“, erläutert Kohlfürst. Doch so extrem stark die elektrischen Spannungs­felder sein müssen, so extrem kurz sind diese Zeitfenster. Länger als ein bis zwei Zeptosekunden – das sind ein bis zwei Billionstel einer Milliardstel Sekunde – brauchen Elektronen und Positronen gemäß den numerischen Simulationen der drei Physiker nicht, bis sie aus der Leere des Vakuums in der Realität auftauchen.

„Unsere Arbeit ist Grundlagen­forschung und basiert auf der Quanten­elektro­dynamik, die das Wechselspiel von geladenen Teilchen und dem Elektro­magne­tismus auf Quantenebene beschreibt“, sagt Kohlfürst. Doch die Ergebnisse könnten auch Impulse für andere Forschungs­felder von der Festkörper- über die Astrophysik bis zur Plasmaforschung für zukünftige Fusions­reaktoren liefern. Denn das Entstehen von Materie aus starken elektrischen Feldern lässt sich als ein Tunnel­prozess beschreiben. In diesem Bild schaffen die starken elektrischen Felder tiefe Täler und hohe Berge in einer Potenziallandschaft. Elektronen und Positronen können durch einen Tunnel diese Berge passieren und am Tunnel­ausgang quasi in der Realität ankommen. „Mit unserer Studie bezifferten wir die Verweildauer von Elektronen und Positronen in diesem Tunnel“, sagt Kohlfürst. Nun treten Tunnel­prozesse auch in Kristallen und dünnen Schichten, fernen Sternen und Galaxien oder in energie­reichen Wolken aus geladenen Teilchen auf. So ist es nicht ausge­schlossen, dass die neuen Erkenntnisse auch bei Festkörper-, Astro- oder Plasma­physikern auf Interesse stoßen.

„Nach der Verweildauer eines Elektrons im Tunnel wollen wir nun versuchen, auch die Länge dieses Tunnels zu bestimmen“, verweist Kohlfürst auf geplante weitere numerische Arbeiten. Das ist alles andere als trivial. Denn niemand weiß, wie schnell sich die Elektronen in diesem Tunnel bewegen. Solche Studien ebnen auch den Weg, das spontane Entstehen von Materie im Vakuum im Experiment zu zeigen. Vorstellbar sind diese Versuche beispielsweise an der Helmholtz Inter­national Beamline for Extreme Fields, die das HZDR am European XFEL in Schenefeld betreibt. „Bisher sind aber selbst die leistungs­fähigsten Laser nicht stark genug, um die nötigen elektrischen Felder aufzubauen“, sagt Kohlfürst. Höhere Energien und damit eine Lösung für diese Heraus­forderung könnten pfiffige Kombinationen aus starken Lasern und Elektronen- oder Ionen-Strahlen bieten. „Und wir würden uns sehr freuen, wenn unsere theoretischen Arbeiten anderen Arbeitsgruppen helfen, ihre Experimente besser und ziel­ge­richteter planen und aufbauen zu können.“

HZDR / RK

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