15.04.2004

Mehr Strom durch Chaos

Elektronen kommen besser in Halbleitern voran, wenn sie sich an einem chaotischen Netz entlang hangeln können.



Elektronen kommen besser in Halbleitern voran, wenn sie sich an einem chaotischen Netz entlang hangeln können.

Normalerweise muss man schon die Quantenmechanik bemühen, um die komplizierten Bewegung von Elektronen in Halbleiterstrukturen zu beschreiben. Doch in den Wellenfunktionen der Elektronen finden sich oftmals auch deutliche Spuren „klassischer“ Teilchenbahnen. Und das klassische Chaos spiegelt sich ebenfalls im quantenmechanischen Verhalten der Elektronen wider, wie der von Michael Berry geprägte Begriff „Quantum Chaology“ andeutet.

Spektakuläre Auswirkungen auf das Quantenverhalten der Elektronen hat das klassische Chaos jedoch normalerweise nicht. Das liegt daran, dass sich das Chaos stetig entfaltet, wenn die Elektronenbewegungen z. B. durch elektrische oder magnetische Felder gestört werden. Dem berühmten KAM-Theorem zufolge weicht eine anfangs geordnete, integrable Bewegung dem Chaos nur widerstrebend, wenn sie gestört wird. Zunächst treten nämlich so genannte KAM-Tori auf, die die chaotische Bewegung eindämmen und ihre quantenmechanischen Auswirkung stark einschränken. Erst wenn die KAM-Tori zerstört sind, hat das dann „grenzenlose“ Chaos auch deutliche quantenmechanische Auswirkungen.

Seit einigen Jahren studieren theoretische Physiker jedoch noch eine andere Art von Chaos, die abrupt auftritt – ohne dass KAM-Tori zerstört werden müssten – und sofort einen unbeschränkten Teilchentransport entlang bestimmter klassischer Bahnen ermöglicht. Jetzt haben Mark Fromhold und seine Kollegen von der University of Nottingham die Auswirkungen dieses „KAM-losen“ Chaos auf Elektronen experimentell untersucht. Die Elektronen bewegten sich dabei in einem Halbleiterübergitter und waren elektrischen und magnetischen Feldern ausgesetzt.

Das benutzte Halbleiterübergitter bestand aus einer periodischen Folge von unterschiedlichen Halbleiterschichten. Eine Periode oder Einheitszellen enthielt dabei eine 1 nm dicke Aluminiumarsenidschicht und eine 0,3 nm dicke Indiumarsenidschicht, die jeweils durch 3,5 nm dicke Galliumarsenidschichten getrennt waren. Der Schichtstapel enthielt insgesamt vierzehn Einheitszellen. Die periodische Struktur führte dazu, dass die Bewegungen der Elektronen im Halbleiterübergitter periodisch moduliert wurden und sich ihre Energien zu so genannten Minibändern anordneten.

Wurde ein elektrisches Feld senkrecht zu der Schichtfolge angelegt, so bewegten sich die Elektronen beschleunigt in Feldrichtung, bis sie schließlich durch Kollisionen mit den Atomen aus der Bahn geworfen wurden. Die Wiederholung dieser Vorgänge führte dazu, dass die Elektronen stetig in Richtung des elektrischen Feldes drifteten. Je stärker das Feld war, umso schneller drifteten die Elektronen und umso mehr Strom floss durch die Halbleiterstruktur. Für sehr starke elektrische Felder nahm die Stromstärke indes nicht weiter zu. Ein großer Teil der Elektronen wurde dann vom Halbleiterübergitter hin und her reflektiert und führte Bloch-Oszillationen aus. Diese Elektronen kamen nicht voran und trugen auch nicht zum elektrischen Strom bei.

Schalteten die Forscher zusätzlich zum elektrischen Feld ein Magnetfeld an, wurden die Elektronenbewegungen (graue Bahnen) wesentlich komplizierter. (Quelle: Fromhold/Nature)

Als die Forscher zusätzlich zum elektrischen Feld ein Magnetfeld anschalteten, sodass die beiden Feldvektoren einen spitzen Winkel bildeten, wurden die Elektronenbewegungen wesentlich komplizierter (Abb.). Zusätzlich zu den Bloch-Oszillationen führten die Elektronen auch noch eine Zyklotronbewegung um die Magnetfeldlinien aus. Die daraus resultierenden Bewegungen folgten unregelmäßig geformten Schraubenbahnen, die durch die Halbleiterstruktur hin- und herliefen, aber nicht vorankamen. Für bestimmte Werte der elektrischen Feldstärke kam es indes zu einer Resonanz zwischen den Bloch-Oszillationen und der Zyklotronbewegung. Daraufhin brachen die Schraubenbahnen alle zugleich auf und die Elektronen konnten sich ungehindert ausbreiten. Sie diffundierten mit großer Geschwindigkeit entlang eines chaotischen Netzwerks, das sich durch die ganze Halbleiterstruktur erstreckte. Der elektrische Strom nahm daraufhin merklich zu.

Durch eine winzige Änderung der elektrischen Feldstärke konnten die Forscher den elektrischen Strom schalten: Die Feldänderung ließ die Resonanz zusammenbrechen, das chaotische Netz verschwand und die Elektronen konnten sich nicht mehr ausbreiten. Auf diese Weise ließen sich quantenmechanische Transportvorgänge durch diese besondere Form des klassischen Chaos steuern. Das KAM-lose Chaos und die chaotischen Netze könnten auch in der Plasmaphysik und bei der Bewegung von Atomen in stehenden Lichtwellen eine wichtige Rolle spielen. Auch hier folgen die Teilchen ähnlichen Bewegungsgesetzen wie die Elektronen im Halbleiterübergitter.

Rainer Scharf

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