15.04.2013

Memory-Effekt auch bei Lithiumionen-Batterien

Bei einem weit verbreiteten Typ der Li-Ionen-Batterie entdeckte Abweichung bei der Arbeitsspannung hat Relevanz für Elektromobilität.

Der Memory-Effekt zahlreicher Batterietypen bewirkt mit der Zeit ein Sinken der Arbeitsspannung der Batterie, ausgelöst durch unvollständige Lade-/Entladezyklen mit der Zeit sinkt. Das heißt, obwohl die Batterie noch Ladung hat, ist die Spannung, die sie liefert, irgendwann zu niedrig, um das fragliche Gerät anzutreiben. Der Effekt hat also zweierlei negative Folgen: Zum einen reduziert er die nutzbare Speicherkapazität, zum anderen verschiebt er die Korrelation zwischen Spannung und Ladezustand, sodass sich Letzterer nicht mehr verlässlich anhand der Spannung bestimmen lässt.

Abb.: Bei einem Zyklus mit partiellem Laden, hier 50 Prozent der Speicherkapazität, mit anschließender vollständiger Entladung macht sich im darauffolgenden Zyklus dann der Memory-Effekt durch eine Überspannung (kleine „Beule“) bemerkbar und zwar genau an der Stelle, an der der partielle Ladezyklus abbrach. Ganz rechts zum Vergleich ist die normale Spannungskurve zu sehen (schwarz; Bild: NPG)


Seit Langem bekannt ist der Memory-Effekt bei Nickel-Cadmium- und Nickel-Metallhydrid-Batterien. Bei den seit Anfang der 1990er-Jahren erfolgreich vermarkteten Lithiumionen-Batterien hatte man jedoch bisher die Existenz eines solchen Effekts ausgeschlossen. Zu Unrecht, wie die neue Arbeit zeigt. Auch an einem der meistverbreiteten Materialien für die positive Elektrode von Lithiumionen-Batterien: Lithium-Eisenphosphat (LiFePO4) tritt er auf – und ist besonders folgenreich. Bei Lithium-Eisenphosphat bleibt die Spannung nämlich über einen großen Bereich des Ladezustands praktisch unverändert. Daher kann bereits eine kleine anomale Abweichung der Arbeitsspannung als eine große Veränderung im Ladezustand missdeutet werden. Oder mit anderen Worten: wenn aus der Spannung auf den Ladezustand geschlossen wird, kann hier schon durch eine kleine Abweichung der Spannung ein großer Schätzfehler entstehen.

Die Existenz des Memory-Effekts ist vor allem im Hinblick auf den zu erwartenden Einzug von Lithiumionen-Batterien in den Bereich der Elektromobilität relevant. Insbesondere bei Hybridautos, bei deren normalem Betrieb sehr viele Zyklen partieller Ladung/Entladung stattfinden, würde der Effekt auftreten. In diesen Fahrzeugen läd nämlich jeder Bremsvorgang durch den zum Generator verwandelten Motor die Batterie ein bisschen auf. Entladen wird sie ebenfalls meist nur partiell, etwa um den Verbrennungsmotor in Beschleunigungsphasen zu unterstützen. Die vielen aufeinanderfolgenden Zyklen unvollständiger Ladung bzw. Entladung können die Aufsummierung der einzelnen kleinen Memory-Effekte zu einem großen zur Folge haben.

Die Ursache für den Memory-Effekt orten die Wissenschaftler in der Art und Weise, wie das Laden bzw. Entladen der Batterien auf der mikroskopischen Ebene vor sich geht. Das Elektrodenmaterial – in diesem Fall Lithium-Eisenphosphat (LiFePO4) – besteht aus einer Unzahl von mikrometerkleinen Partikeln, die eins nach dem anderen aufgeladen und entladen werden. Diese Vorstellung der Lade- und Entladevorgänge bezeichnen die Forscher als „Vielteilchen-Modell“. Das Laden schreitet Partikel für Partikel voran und besteht darin, dass die Teilchen Lithiumionen abgeben. Eine komplett geladene Partikel ist demnach Lithium-leer und besteht somit nur noch aus Eisenphosphat (FePO4). Das Entladen wiederum besteht in der Wiederansammlung von Lithium-Atomen in den Elektrodenpartikeln, sodass aus Eisenphosphat (FePO4) wieder Lithium-Eisenphosphat (LiFePO4) wird. Die Änderungen des Lithium-Anteils, die mit dem Laden bzw. Entladen einhergehen, verursachen eine Änderung des chemischen Potenzials der einzelnen Partikel, was wiederum die Spannung der Batterie verändert. Allerdings sind Laden und Entladen keine linearen Prozesse. So steigt zunächst beim Laden das chemische Potenzial mit der fortschreitenden Abgabe von Lithiumionen. Dann aber erreichen die Partikeln einen kritischen Wert des Lithium-Anteils (und des chemischen Potenzials). An diesem Punkt findet ein abrupter Übergang statt: die Partikeln geben ihre verbleibenden Lithiumionen sehr rasch ab, ohne dass sich dabei ihr chemisches Potenzial verändert. Es ist genau dieser Übergang, der erklärt, warum die Spannung der Batterie über einen großen Bereich praktisch unverändert bleibt (Spannungs-Plateau).

Die Existenz dieser Potenzialbarriere ist entscheidend für das Auftreten des Memory-Effekts. Haben die ersten Partikeln die Potenzialbarriere überschritten und sind sie Lithium-leer geworden, kommt es zur Aufspaltung der Partikel-Population der Elektrode. Das heisst: Es gibt nun eine scharfe Trennung zwischen Lithium-armen und Lithium-reichen Partikeln (siehe Grafik). Wenn die Batterie nicht vollständig geladen wird, bleibt also eine bestimmte Anzahl Lithium-reicher Partikeln übrig, die es nicht über die Barriere geschafft hat. Diese Partikeln bleiben aber nicht lange am Rand der Barriere, denn dieser Zustand ist nicht stabil, sondern sie „rutschen den Hang hinab“, das heisst, ihr chemisches Potenzial sinkt. Selbst wenn die Batterie wieder entladen wird und alle Teilchen wieder vor der Barriere zu liegen kommen, bleibt diese Aufspaltung in zwei Gruppen bestehen. Und nun kommt das Entscheidende: Beim nächsten Ladevorgang wird zuerst die erste Gruppe (Lithium-ärmere Partikeln) über die Barriere gebracht, während die zweite Gruppe (Lithium-reich) quasi „hinterherhinkt“. Damit die „verzögerte“ Gruppe die Barriere erreicht, muss nun ihr chemisches Potenzial weiter erhöht werden und genau das verursacht die den Memory-Effekt kennzeichnende Überspannung („Beule“ in der obigen Grafik). Die Überspannung, durch die der Effekt sich bemerkbar macht, entspricht der zusätzlichen Arbeit, die geleistet werden muss, um diejenigen Partikeln über die Potanzialbarriere zu befördern, die nach einer unvollständigen Ladung zurückgeblieben waren.

Die Zeit, die zwischen Laden und Entladen einer Batterie verstreicht, spielt eine wichtige Rolle für den Zustand der Batterie am Ende dieser Vorgänge. Laden und Entladen sind nämlich Prozesse, die das thermodynamische Gleichgewicht der Batterie aufheben, und durch eine Wartezeit kann sich dieses Gleichgewicht wieder einstellen. Die Forscher fanden heraus, dass eine genügend lange Wartezeit den Memory-Effekt auszulöschen vermag. Dies geschah aber, in Einklang mit dem Vielteilchen-Modell, nur unter bestimmten Bedingungen. So verschwand der Memory-Effekt, wenn man nach einem Zyklus bestehend aus partieller Ladung und anschließender vollständiger Entladung lange genug wartete. In diesem Fall waren die zwei Partikelgruppen nach der vollständigen Entladung zwar getrennt, aber auf ein und derselben Seite der Potenzialbarriere. Die Trennung verschwand also, weil die Partikeln einem Gleichgewichtszustand zustrebten, in dem sie alle den gleichen Lithium-Anteil hatten. Bestehen geblieben ist der Memory-Effekt hingegen selbst dann, wenn man nach der unvollständigen Ladung und vor der Entladung beliebig lange wartete. Hier befanden sich die Partikeln nämlich auf gegenüberliegenden Seiten der Potenzialbarriere und diese verhinderte eine Aufhebung der Aufspaltung in „Lithium-arm“ und „Lithium-reich.

Abb.: Das chemische Potenzial der Teilchen steigt zunächst stetig, indem die Teilchen Lithiumionen abgeben (a). Haben sie einmal den Punkt B (Barriere des chemischen Potenzials) erreicht, geben sie sehr rasch die verbleibenden Lithiumionen ab und sind dann komplett geladen (b). Die Teilchen überschreiten aber nicht alle gleichzeitig die Barriere, sondern eins nach dem anderen. Nach partieller Ladung bleiben also einige Teilchen vor der Barriere zurück (c). Diese „rutschen dann den Hang herab“, um das thermodynamische Gleichgewicht wiederherzustellen. Nun ist eine Aufspaltung der Teilchen in Lithium-reich und Lithium-arm etabliert. Diese Aufspaltung bleibt auch bestehen, nachdem die Batterie komplett entladen wird (d & e). Beim nächsten Ladezyklus (f) überwindet erst die Gruppe der Lithium-ärmeren Teilchen die Barriere. Um auch die zweite, „verzögerte“ Gruppe der Lithium-reicheren Teilchen über die Barriere zu befördern, ist zusätzliche Arbeit nötig. Dies drückt sich aus in einer Überspannung, die das Kennzeichen des Memory-Effektes bildet. (Bild: NPG)

Laut Petr Novák, Leiter der Sektion für elektrochemische Energiespeicherung am PSI und Mitautor der Publikation, räumt die Studie einen lang gehegten Irrglauben aus: „Uns ist keine Studie bekannt, bei der man gezielt einen Memory-Effekt bei Lithiumionen-Batterien gesucht hätte. Man hat bisher einfach angenommen, dass kein solcher Effekt auftritt.“ Zur Erkenntnis gelangt sei man nun dank einer in der Forschung oft fruchtbaren Mischung aus Spekulation und Sorgfalt: „Der Effekt ist nämlich winzig: Die relative Abweichung in der Spannung beträgt nur wenige Promille. Aber entscheidend war die Idee, überhaupt nach dem Effekt zu suchen. Normale Batterie-Tests fahren üblicherweise tiefe statt unvollständige Lade-/Entlade-Zyklen. Es hat deshalb einen Geistesblitz gebraucht, um sich überhaupt die Frage zu stellen, was bei partiellem Laden passieren könnte.“

Für die voranschreitende Anwendung von Lithiumionen-Batterien in Fahrzeugen ist mit der jüngsten Entdeckung jedoch nicht das letzte Wort gesprochen. Es sei nämlich durchaus möglich, dass der Effekt durch kluge Anpassungen der Software im Batterie-Managementsystem rechtzeitig festgestellt und berücksichtigt werden wird, betont Novák. Sollte das gelingen, stünde der Memory-Effekt dem sicheren Einsatz von Lithiumionen-Batterien in Elektroautos nicht im Wege. Nun seien also die Ingenieure gefordert, den richtigen Umgang mit dem eigentümlichen Gedächtnis der Batterie zu finden.

PSI / OD

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