31.08.2010

'Metallzigarre' schwebt über dem Nichts

Abstoßende Casimir-Kräfte für ideale Leiter gefunden - zumindest theoretisch.

'Metallzigarre'  schwebt über dem Nichts

Abstoßende Casimir-Kräfte für ideale Leiter gefunden - zumindest theoretisch.

Das Vakuum ist, analog mit unserer naiven Vorstellung, zwar frei von Teilchen, aber doch nicht wirklich leer. Stattdessen, so heisst es in der Fachsprache, ist es durchzogen von frei fluktuierenden Quantenfeldern. Eine greifbare Folge daraus sind Kräfte zwischen Objekten im Vakuum, sogenannte Casimir-Kräfte. Sprich, werden die Quantenfelder in ihrer 'Bewegungsfreiheit' eingeschränkt, indem man Gegenstände in das Vakuum steckt, führt das letzlich zu Kräften zwischen den Gegenständen. In der Regel wirken diese Kräfte zwischen den Objekten anziehend. Forscher von MIT und Harvard haben nun eine Anordung vorhergesagt, in der diese Kräfte allein aufgrund der geometrischen Eigenschaften abstoßend wirken können.

Schon 1948 berechnete Hendrik Casimir, welchen Effekt Quantenfluktuationen des elektromagnetischen Feldes auf zwei parallele, leitende Platten im Vakuum haben würden. Anschaulich gesprochen ''passen'' zwischen die beiden Platten nicht alle Schwingungen des Feldes, weil sie auf beiden Platten gewissen Randbedingungen gehorchen müssen. Dadurch entsteht auf die Platten ein Strahlungsdruck von außen. Die Folge ist, dass sich die beiden Platten anziehen. Die Casimir-Kraft wird dabei umso stärker, je näher sich die Platten kommen.

Eine wichtige Frage, die im Zusammenhang mit Casimir-Kräften immer wieder gestellt wird, ist, ob sich spezielle Anordnungen der Objekte finden lassen, in denen diese Kräfte auch abstoßend wirken. Das ist besonders interessant im Hinblick auf mechanische Bauteile in Mikro- und Nanometergröße (sog. Mikro- und Nano- Elektro-Mechanische Systeme). Dort kann das Problem auftreten, dass die Bauteile ungewollt zusammen “kleben“. Dies kann eben aufgrund von Casimir Kräften geschehen, die bei solch kleinen Abständen nicht mehr vernachlässigbar sind, der Druck auf die Bauteile wird ähnlich stark wie der reine Atmosphärendruck.

Dass Casimir-Kräfte für sehr spezielle Materialeigenschaften abstoßend sein können, ist in den letzten Jahren bereits untersucht worden. Die Forscher von MIT und Harvard haben nun eine Vorhersage für ein System zweier perfekter Leiter gemacht, das sich allein schon aufgrund der geometrischen Eigenschaften abstoßend verhalten kann.

  

Abb.: (a) Ein zigarrenförmiges Objekt über einer gelochten Platte. Die Casimir-Kraft entlang der z-Achse kann in dieser Anordnung auch abstoßend wirken. (b) Dipol-Feld des zigarrenförmigen Objekts. Die Form des Feldes sieht gleich aus für zwei entgegengesetzte Fälle: Bei z=0  sitzt das Objekt genau in der Mitte der gelochten Platte (angedeutet durch blaue Linien) und die Dipollinien sind spiegelsymmetrisch zur Plattenachse. Denkt man sich Platte und Zigarre unendlich weit voneinander entfernt (z=∞), so bleibt der Dipol unbeeinflusst von der Platte und die Dipollinien haben die gleiche Symmetrie wie bei z=0. Für die Casimir-Energie U gilt deshalb U(z=0) = U(z=∞). (c) Differenz der Casimir-Energie entlang der z-Achse. Bei z=0 und z=∞ sind die Energien gleich, ihre Differenz also Null. Die Energiedifferenz ändert sich aber stetig zwischen diesen Extremen. Gibt es einen Bereich der Anziehung zwischen 'Zigarre' und Platte, so gibt es auch einen Bereich der Abstoßung. Das ist der Fall, wenn die Energieänderung und somit die Kraft ihr Vorzeichen wechselt. (Bild: Levin et al., PRL 105, 090403 (2010))
 

Steven G. Johnson (MIT) und seine Kollegen untersuchten hierzu eine Anordnung aus einem zigarrenförmigen Metallstab und einer Metallplatte mit einem kreisrunden Loch (Abb.:(a)). Warum gerade diese Anordnung vielversprechend ist, kann bereits ein einfaches Gedankenexperiment veranschaulichen.

 

Die Fluktuationen des elektromagnetischen Feldes im Vakuum führen dazu, dass der zigarrenförmige Metallstab effektiv zu einem Dipol wird (Abb.:(b)), da die Fluktuationen den Stab polarisieren. Dieses Dipolfeld sieht in zwei Situationen genau gleich aus. Platziert man den Dipol quer zu seiner Achse genau in Mitte der Metallplatte mit dem Loch (z=0), so verhalten sich seine Feldlinien genau so, als wäre die Platte gar nicht da. Formal gesprochen, sind 'Zigarre' und Platte unendlich weit voneinander entfernt. Die Casimirenergie zwischen den Objekten ist für diese beiden Fälle also gleich: U(z=0) = U(z=∞) und somit ihre Differenz Null. Genau wie bei  Casimirs Platten gibt es aber auch Abstände, bei denen sich der Metallstab und die Platte anziehen. Die Energiedifferenz muss sich also entlang der z-Achse verändern (Abb.: (c)). Aus der Änderung der Energiedifferenz erhält man die Kraft, die somit an einem Punkt ihr Vorzeichen wechseln muss. Wirkt die Casimir-Kraft in einem Bereich anziehend, so wirkt sie also in dem anderen abstoßend. Die 'Zigarre' kann dann alleine aufgrund von Casimir-Kräften frei über der Platte schweben.

 

Die Anordnung aus der gelochten Platte und dem zigarrenförmigen Objekt reagiert allerdings sehr empfindlich auf ein Kippen der Zigarre, ein freies Schweben zu beobachten, wird also eine sehr große Herausforderung sein. Prinzipiell ist ein solches Experiment aber möglich. Um das zu zeigen, simulierten Johnson und seine Kollegen den Effekt für verschiedene Materialen und Abstände die für ein solch eine Anordnung praktisch wären. Hierbei besteht die Hoffnung die abstoßenden Casimir-Kräfte eines Tages nutzbringend bei dem Design von kleinsten Bauteilen anzuwenden.

 

Babette Döbrich

Weitere Infos:

  • Originalveröffentlichung: 
    Reprinted figure with permission from
    M. Levin, A.P. McCauley, A. W. Rodriguez, M.T.Homer Reid, S.G. Johnson:
    Casimir Repulsion between Metallic Objects in Vacuum, Phys. Rev. Lett. 105, 090403 (2010).
    Copyright 2010 by the American Physical Society.
    DOI:10.1103/PhysRevLett.105.090403
    http://prl.aps.org/abstract/PRL/v105/i9/e090403
     
  • Gruppe von Steven G. Johnson am MIT
    http://math.mit.edu/~stevenj/

Weitere Literatur:

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