08.06.2017

Meteoriten unter Hochdruck

Neue Messungen wirken sich auf die Analyse von Einschlagprozessen im Sonnensystem aus.

Mit Hochdruck-Experi­menten an DESYs Röntgen­lichtquelle PETRA III und anderen Anlagen haben Bayreuther Forscher die lang­gesuchte Erklärung für scheinbar wider­sprüchliche Eigen­schaften von Mars- und Mond-Meteoriten geliefert. Die Unter­suchung des Teams um Leonid Dubro­vinsky von der Universität Bayreuth enträtselt, wieso ver­schiedene Formen von Silizium­dioxid neben­einander in Meteoriten existieren können, obwohl sie unter sehr unter­schiedlichen Bedingungen entstehen. Die Ergebnisse haben direkte Aus­wirkung auf die Analyse von Meteoriten.

Abb.: Frischer Einschlagkrater auf dem Mars, fotografiert von der HiRISE-Kamera des Mars Reconnaissance Orbiters. (Bild: NASA / JPL / U. Arizona)

Die Wissen­schaftler hatten ein Silizium­dioxid-Mineral namens Cristo­balit untersucht. „Dieses Mineral ist von großem Interesse für die Analyse planetarer Proben wie Meteo­riten, weil es die vorherr­schende Form von Silizium­dioxid in extra­terrestrischem Material darstellt“, erläutert Ana ernok vom Bayerischen Geo­institut (BGI) an der Uni­versität Bayreuth, die inzwischen an der Open Uni­versity in Groß­britannien arbeitet. „Cristo­balit hat dieselbe chemische Zusammen­setzung wie Quarz, aber seine innere Struktur unter­scheidet sich deutlich“, ergänzt Razvan Caracas vom fran­zösischen Forschungs­zentrum CNRS. Anders als der allgegen­wärtige Quarz ist Cristo­balit auf der Erde relativ selten, da es sich erst unter sehr hohen Tempera­turen und besonderen Bedin­gungen bildet. Es findet sich jedoch häufig in Meteoriten, die durch Asteroiden­treffer aus Mond oder Mars heraus­geschlagen wurden und schließlich auf der Erde gelandet sind.

Über­raschender­weise haben Forscher jedoch in solchen Mond- und Mars­meteoriten neben Cristobalit auch das Mineral Seifertit gefunden. Es ist ebenfalls eine Form von Siliziumdioxid, entsteht aber erst unter extrem hohen Druck. Dubrovinsky und seine Kollegen haben Seifertit vor 20 Jahren erstmals künst­lich her­gestellt. „Cristobalit und Seifertit in denselben Körnern eines Meteo­riten zu finden, ist rätsel­haft, denn sie entstehen unter völlig anderen Drücken und Tempera­turen“, betont Dubro­vinsky. „Angestoßen durch diese merk­würdige Beo­bachtung haben zahllose experi­mentelle und theo­retische Studien das Verhalten von Cristo­balit unter Hochdruck untersucht, aber das Rätsel ließ sich über zwei Jahr­zehnte nicht lösen.“

Mit dem intensiven Röntgen­licht von PETRA III bei DESY und der European Syn­chrotron Radiation Facility (ESRF) im fran­zösischen Grenoble konnten die Wissen­schaftler nun uner­reichte Einblicke in die innere Struktur von Cristo­balit unter Hochdruck von bis zu 83 Gigapascal gewinnen, das entspricht rund dem 820.000-fachen Atmo­sphärendruck. „Die Experimente zeigen, wie Cristo­balit in eine als Cristobalit X-I bezeichnete Hochdruck­phase übergeht, wenn es gleichmäßig zusammen­gepresst wird – oder wie wir sagen, unter hydro­statischem oder quasi-hydro­statischem Gleich­gewicht“, erläutert Elena Bykova, die an der DESY-Mess­station P02.2 arbeitet, an der die Versuche stattfanden. „Wenn der Druck verschwindet, wandelt sich Cristo­balit X-I dann wieder zurück in normales Cristobalit.“

Wird Cristo­balit jedoch ungleich­mäßig unter nicht-hydro­statischen Bedingungen zusammen­gepresst, bildet sich uner­warteter Weise eine Seifertit-ähnliche Struktur. Diese Struktur entsteht bereits bei deutlich geringerem Druck als nötig ist, um Seifertit aus gewöhnlichem Siliziumdioxid zu bilden. „Theoretische Berechnungen bestätigen die dynamische Stabi­lität der neuen Phase auch bei hohen Drücken“, erläutert Caracas. Zudem bleibt diese Phase auch ohne Druck stabil. „Das war eine Überraschung“, sagt ernok. „Unsere Studie erklärt damit, wie Seifertit bereits bei deutlich geringerem Druck entstehen kann als erwartet, wenn man Cristo­balit komprimiert. Daher haben Meteo­riten, die Seifertit und Cristo­balit enthalten, nicht notwendiger­weise sehr heftige Einschläge erlebt.“

Das uner­wartete Verhalten erklärt, wieso Cristo­balit und Seifertit neben­einander in einem Meteoriten existieren können. Denn bei einem Einschlag kann die Schockwelle auf ihrem Weg durch das Material ver­schiedene, sich über­schneidende hydro­statische und nicht-hydro­statische Druckzonen erzeugen, so dass ver­schiedene Varianten von Silizium­dioxid in demselben Meteoriten entstehen können. „Diese Ergeb­nisse haben unmittel­bare Auswirkung auf die Unter­suchung von Einschlag­prozessen im Sonnen­system“, erläutert Dubrovinsky. „Sie liefern einen klaren Beleg dafür, dass weder Cristobalit noch Seifertit als verläss­liche Indizien für die Stärke eines Schocks gelten können, die ein Meteorit erfahren hat.“ All­gemeiner gefasst zeigen die Beo­bachtungen auch, dass dasselbe Material ganz anders auf hydro­statische und nicht-hydro­statische Kompression reagieren kann. „Unsere Resul­tate legen einen zusätz­lichen Mechanismus nahe, über den Material­wissenschaftler die Eigen­schaften von Materialien verändern können. Neben Druck und Temperatur können auch unterschiedliche Formen mechanischer Spannung zu völlig anderem Verhalten von Fest­körpern führen.“

DESY / JOL

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