Mikroroboter im Schwarm
Kollektives Verhalten ergibt sich aus den Interaktionen einzelner Roboter.
Forschenden des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme (MPI-IS), der Cornell University und der Shanghai Jiao Tong University ist es gelungen, Mikroroboter zu entwickelt, die sich als Kollektiv in jeder beliebigen Formation bewegen können. Die Partikel sind in der Lage, ihre Bewegungsmuster schnell neu zu rekonfigurieren. Auf einer Wasseroberfläche schwimmend können sich die Miniaturroboter im Kreis drehen, den Boogie tanzen, sich zu einem Klumpen zusammenballen, sich wie Gas ausbreiten oder eine gerade Linie bilden wie aneinander gereihte Perlen auf einer Schnur.
Ein einzelner Roboter ist etwas größer als der Durchmesser eines menschlichen Haars. Sie werden aus einem Polymer in 3D gedruckt und mit einer dünnen Kobaltschicht überzogen. Dank des Metalls sind die Mikroroboter magnetisch geladen. Drahtspulen, durch die Strom hindurchfließt und auf diese Weise ein Magnetfeld erzeugen, umgeben den Versuchsaufbau. Das Magnetfeld ermöglicht es, die Teilchen in einem ein Zentimeter breiten Wasserbecken präzise zu steuern. Wenn die Mikroroboter zum Beispiel eine Linie bilden, können die Forschenden die Roboter so bewegen, dass sie Buchstaben ins Wasser schreiben. Am Forschungsprojekt waren neben Gaurav Gardi und Metin Sitti, Steven Ceron und Kirstin Petersen von der Cornell University und Wendong Wang von der Shanghai Jiao Tong University beteiligt.
Kollektives Verhalten und Schwarm-Bewegungsmuster sind überall in der Natur zu finden. Ein Vogelschwarm zeigt dieses Verhalten ebenso wie Fische. Auch Roboter können so programmiert werden, dass sie in Schwärmen agieren – und machen dabei sogar prominent von sich reden. Ein Technologieunternehmen stellte vor einigen Jahren mit einer Drohnen-Lichtshow einen neuen Guinness-Weltrekord auf, indem Ingenieure mehrere hundert Drohnen so programmierten, dass die Fluggeräte wie ein Vogelschwarm minutenlang ein beeindruckendes Muster in den Nachthimmel zeichneten. Jede Drohne in diesem Schwarm war mit Rechenleistung ausgestattet, die sie in alle mögliche Richtungen steuerte. Was aber, wenn das einzelne Teilchen so winzig ist, dass für Rechenleistung kein Platz ist? Wenn ein Roboter gerade mal 300 Mikrometer klein ist, bietet dieser nicht genügend Platz für einen Rechner, dem man einen Algorithmus einprogrammieren könnte.
Drei unterschiedliche Kräfte sind im Spiel, um den Mangel an Rechenleistung auszugleichen. Eine ist die magnetische Kraft. Die zweite Kraft ist die flüssige Umgebung, das Wasser um die Partikel herum. Wenn Teilchen in einem Wasserstrudel schwimmen, verdrängen sie Wasser und beeinflussen so die anderen Teilchen im System. Die Geschwindigkeit des Strudels und seine Größe bestimmen, wie die Teilchen interagieren. Drittens: Wenn zwei Teilchen nebeneinander schwimmen, neigen sie dazu, aufeinander zuzudriften. Sie krümmen die Wasseroberfläche so, dass sie sich langsam annähern. Wissenschaftler nennen dies den Cheerio-Effekt: Wenn man zwei der Cerealien auf Milch treiben lässt, stoßen sie irgendwann zusammen. Umgekehrt kann dieser Effekt auch dazu führen, dass sich zwei Dinge gegenseitig abstoßen.
Die Wissenschaftler nutzen alle drei Kräfte, um ein koordiniertes, kollektives Bewegungsmuster von mehreren Dutzend Mikrorobotern innerhalb eines System zu erzeugen. Dabei nimmt die Gruppe die Formation an, die am besten passt. Gibt es nur einen schmalen Durchgang, reihen sich die Mikroroboter hintereinander auf, um sich dann wieder auszubreiten, wenn sie herauskommen. Die Wissenschaftler können die Roboter auch tanzen lassen. Außerdem zeigen sie, wie sie eine winzige Plastikkugel in den Wasserbehälter legen und dann die Roboter zu einem Bündel zusammenziehen, um die schwimmende Kugel vor sich herzuschieben. Sie können die winzigen Teilchen auch in zwei Zahnrädern platzieren und die Teilchen so bewegen, dass sie beide Zahnräder zum Drehen bringen. Auch ein geordnetes Muster ist möglich, bei dem jedes Teilchen den gleichen Abstand zu seinem Nachbarn einhält. All diese verschiedenen Fortbewegungsarten und Formationen werden durch externe Rechenleistung ermöglicht: Ein Algorithmus wird programmiert, der ein rotierendes oder oszillierendes Magnetfeld erzeugt, das wiederum die gewünschte Bewegung und Rekonfigurierung auslöst.
„Je nachdem, wie wir die Magnetfelder verändern, verhalten sich die Mikroroboter anders. Wir verändern eine Kraft und dann eine andere, bis wir das gewünschte Bewegungsmuster erhalten. Wenn wir das Magnetfeld in den Spulen zu stark drehen, ist die Kraft, die das Wasser in Bewegung setzt, zu stark und die Partikel entfernen sich voneinander. Sind wir zu langsam, ist der Cheerio-Effekt, der die Teilchen anzieht, zu groß. Wir müssen ein Gleichgewicht zwischen diesen drei Faktoren finden“, erklärt Doktorand Gaurav Gardi. Das Zukunftsszenario für solche Mikroroboter-Kollektive ist, noch kleiner zu werden. „Unsere Vision ist es, ein System zu entwickeln, das noch winziger ist. Wir wollen die Partikel bald nur einen Mikrometer klein bauen. Diese Kollektive könnten möglicherweise eines Tages in den menschlichen Körper eindringen und durch komplexe Umgebungen navigieren, um zum Beispiel Medikamente zu verabreichen, Blockaden zu lösen oder schwer zugängliche Bereiche zu stimulieren“, erklärt Gardi.
„Roboter-Kollektive, die schnell zwischen verschiedenen Bewegungsmustern wechseln können, sind sehr selten. Solch versatile Systeme sind sehr von Vorteil, wenn sie in komplexen Umgebungen eingesetzt werden. Wir freuen uns, dass es uns gelungen ist, dieses vielseitige und robuste Mikroroboter-System zu entwickeln. Wir sehen unsere Forschung als eine Blaupause für künftige biomedizinische Anwendungen, minimalinvasive Behandlungen oder um die Umwelt zu schützen“, fügt Metin Sitti hinzu.
MPI-IS / JOL