17.01.2024

Mit Druck und Doping zu neuen Eisstrukturen

Im Labor können Eisformen erzeugt werden, wie sie im Inneren des Erdmantels oder in den Eispanzern der Jupiter- und Saturnmonde zu finden sind.

Die Moleküle in Kristallen sind nach einem bestimmten Muster geordnet, das sich prinzipiell bis ins Unendliche fortführen lässt. Bei Schnee und Eis gilt diese Regel jedoch nur für die Sauerstoff-Atome. Die Wasserstoff-Atome hingegen sind ungeordnet, zeigen in eine beliebige Richtung des Raums. Das ist wichtig für die mechanischen und elektrischen Eigenschaften eines Eiskristalls, zum Beispiel seine Beweglichkeit. Berggletscher fließen nur wegen der ungeordneten Struktur der Wasserstoffatome. „Diese Eigenschaften ändern sich allerdings, sobald die Wasserstoffatome sich ordnen und nur in eine Richtung zeigen“, erklärt Thomas Loerting von der Uni Innsbruck, „das Eis wird spröde, isoliert elektrische Ladungen und wird zu einer ganz anderen Eisform.“ In einer Studie hat er gemeinsam mit Kollegen der Uni Innsbruck und der TU Dortmund neue Strategien entwickelt, um solche Eisformen unter Laborbedingungen herzustellen.

Abb.: Im Labor gezüchtete frustrierte Eiskristalle.
Abb.: Im Labor gezüchtete frustrierte Eiskristalle.
Quelle: K. Libbrecht, Caltech

Zwanzig verschiedene Eisformen sind bisher bekannt. Eis I, auch hexagonales Eis genannt, kennen wir als gewöhnlichen Schnee und Eis auf der Erdoberfläche. Andere Formen, wie Eis VI oder Eis VII, benötigen viel höheren Druck, um zu entstehen und kommen im Erdmantel vor. Dass sie dort nicht schmelzen, liegt an der dichtgepackten Molekülstruktur, die Temperaturen bis sechshundert Grad aushalten kann. Im Weltall sind bisher dreizehn verschiedene Arten von Eis nachgewiesen worden, beispielsweise im Inneren der Eisgiganten Uranus und Neptun oder auf den Eismonden von Jupiter und Saturn, deren Oberflächen von kilometerdicken Eisschichten überzogen sind. Auf der Erde könnte solches Eis theoretisch existieren, dafür müssten ihr Eispanzer allerdings viel tiefer sein, um den entsprechenden Druck zu erzeugen – das Doppelte der maximal sechs Kilometer tiefen Eisschichten der Antarktis wäre notwendig, um Eis I in Eis II umzuwandeln.

„Um neue Eisformen im Labor entstehen zu lassen, sind zunächst sehr niedrige Temperaturen von ungefähr minus 200 Grad Celsius nötig“, erklärt Christina Tonauer von der Uni Innsbruck. „Das Problem ist aber, dass bei dieser Kälte die Wasserstoffatome sich zwar ordnen wollen, aber dafür viel zu langsam sind. Wir nennen solche Eiskristalle `frustriert´“. Noch langsamer sind die schwereren Deuterium-Atome. Wenn gewöhnliche Wasserstoff-Atome durch den schweren Wasserstoff Deuterium ersetzt werden, entsteht schweres Wasser. Die Herstellung von Eisformen aus diesem schweren Wasser ist jedoch notwendig, um Eisstrukturen besser zu verstehen. Wir mussten also Strategien entwickeln, um die Atome trotz der niedrigen Temperaturen in Bewegung zu halten.“

Die erste Methode sieht vor, Eis unter Druck zu setzen. Bei achttausend Bar – das ist etwa das Achtfache des Drucks am Grund des Marianengrabens, der tiefsten Stelle des Weltmeeres – werden die Wassermoleküle praktisch gezwungen, sich zu bewegen. Dieser Vorgang dauert nicht länger als einen Tag. Eine zweite Methode beinhaltet die Zugabe eines Doping-Mittels zu schwerem Wasser.  Dazu werden kleine Mengen von normalen Wasserstoff-Atomen beigemischt, die leichter, schneller und somit mobiler sind und daher als Doping-Mittel für das Eis aus schwerem Wasser wirken.

Zudem werden kleine Mengen an Säure hinzugegeben, wodurch absichtlich Löcher in der Kristallstruktur erzeugt werden, die den Atomen mehr Platz zum Umordnen verschaffen. Durch diese beiden Formen des Dopings wird der Übergang eines frustrierten Kristalls in einen geordneten Kristall bis zu hunderttausendfach beschleunigt und spielt sich in Stunden ab statt über Jahre.

Diese Methode wurde mit einer für sieben Jahre unter flüssigem Stickstoff gelagerten ungedopten Eisprobe verglichen. Über die Jahre hatte das Eis in dieser Probe sich von selbst geordnet. Diese Beobachtung legt nahe, das Eis sich im Weltraum über große Zeiträume hinweg ordnet. Die Erforschung von solchen geordneten Eiskristallen im Labor erfordert also entweder jahrelange Geduld oder aber den Einsatz der hier neu entwickelten Herstellungsstrategien.

Obwohl diese Strategien anhand von Eis XIV entwickelt wurden, lassen sie sich auch für die anderen bekannten Eisformen anwenden. Außerdem eröffnen sie die Möglichkeit, noch weitere Eisformen zu entdecken. Nach aktuellem Forschungsstand wird vermutet, dass insgesamt 56 Eisformen existieren könnten. „Das würde heißen, dass noch einiges an Arbeit auf uns wartet“, sagt Loerting.

Die Erkenntnisse zu Eisformen finden in verschiedenen Feldern ihre Anwendung. Sie sind wichtig für die Weltraumforschung, weil so die Bedingungen ergründet werden können, unter denen im Weltall Eis entsteht, und wo es zu finden ist. „Die Arbeit ist auch für die Materialwissenschaften von hoher Relevanz, denn viele Materialien haben eine ähnliche Struktur wie kristallines Eis“, betont Tonauer. „Das ist bei Spin-Eis-Materialien der Fall, die magnetisch sind. Wir können also auch einiges über Magnete und für die Entwicklung von neuen funktionellen Materialien lernen.“

Die Forschung an hitzebeständigem Eis führt aber auch zu ausgefalleneren Ideen. „Ich werde immer gefragt, ob wir denn nicht Schnee herstellen könnten, der bei Raumtemperatur stabil ist, um auch im Sommer Skifahren zu gehen“, sagt Loerting amüsiert. „Solche geordneten Formen von Eis sind prinzipiell dafür geeignet. Es haben sich auch einige Leute schon Gedanken dazu gemacht. Ein Vorschlag war zum Beispiel, Spannungen von mehreren zehntausend Volt an Skipisten anzulegen, um die Eiskristalle zu ordnen. Da würde ich persönlich aber nicht gerne drauf fahren wollen.“

U. Innsbruck / RK

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