Mit KI Erdbeben analysieren
Schnellere Auswertung von Seismogrammen möglich.
Die Ankunft der vielen Erdbebenwellen an der Seismometerstation – den Phaseneinsatz – genau zu bestimmen, ist wichtig für das präzise Lokalisieren der Erdbebenereignisse, was weitere exakte seismologische Auswertungen erst ermöglicht. Diese können unter anderem dazu dienen, Nachbeben vorherzusagen, die manchmal schwerere Schäden verursachen können als das erste Beben. Durch genaue Lokalisation von Erdbebenzentren lassen sich auch physikalische Prozesse in der Tiefe besser unterscheiden, was wiederum Rückschlüsse auf den Aufbau des Erdinnern erlaubt. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Künstliche Intelligenz die Erdbebenanalyse wesentlich verbessern kann – nicht nur bei großen Datenmengen, sondern auch bei begrenzter Datenlage“, erklärt Andreas Rietbrock vom Geophysikalischen Institut (GPI) des Karlsruher Instituts für Technologie.
Durch Auswertung der Seismogramme, dem Picken, lassen sich die Einsatzzeiten der einzelnen Phasen ermitteln. Dies geschieht traditionell von Hand. Doch beim manuellen Picken kann die Subjektivität des jeweiligen Seismologen die Genauigkeit beeinträchtigen. Vor allem aber erfordert die manuelle Auswertung mittlerweile einen nicht mehr zu vertretenden Zeit- und Personalaufwand, weil die Menge der verfügbaren seismischen Daten immer größer wird und die Seismometer-Netzwerke immer dichter werden. Um alle Informationen schnell zu nutzen, bedarf es einer automatischen Auswertung. Die bisher entwickelten Pickeralgorithmen erreichen allerdings nicht die Genauigkeit des manuellen Pickens durch einen erfahrenen Seismologen, weil Entstehung und Ausbreitung von Erdbeben äußerst komplexe Vorgänge sind und verschiedene physikalische Prozesse das seismische Wellenfeld beeinflussen.
Künstliche Intelligenz aber kann die Daten ebenso genau auswerten wie der Mensch. Dies haben Wissenschaftler am GPI, an der University of Liverpool und an der University of Granada nun gezeigt. Wie die Forscher berichten, setzten sie ein faltendes neuronales Netz (Convolutional Neural Network – CNN) ein, um Phaseneinsätze eines seismisches Netzwerk in Chile zu bestimmen. CNNs sind von biologischen Nervensystemen inspiriert und bestehen aus verschiedenen Schichten von miteinander verbundenen künstlichen Neuronen. Beim Deep Learning, einer Methode des Maschinellen Lernens, werden die erkannten und gelernten Merkmale von Schicht zu Schicht weitergereicht und dabei immer weiter verfeinert.
Bei einem Erdbeben breiten sich seismische Wellen verschiedenen Typs durch die Erde aus. Haupttypen sind die Kompressions- oder Primärwellen (P-Wellen) und die Scher- oder Sekundärwellen (S-Wellen). Zunächst treffen die schnelleren P-Wellen an einer seismologischen Station ein, dann die langsameren S-Wellen. Die Forscher trainierten das CNN mit einem relativ kleinen Datensatz zu 411 Erdbebenereignissen im Norden von Chile. Daraufhin bestimmte das CNN die Einsatzzeiten von unbekannten P-Phasen und S-Phasen mindestens so genau wie ein erfahrener Seismologe beim manuellen Picken und genauer als ein klassischer Pickeralgorithmus.
KIT / JOL
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
J. Woolam et al.: Convolutional Neural Network for Seismic Phase Classification, Performance Demonstration over a Local Seismic Network, Seismo. Res. Lett. 90, 491 (2019); DOI: 10.1785/0220180312 - Geophysikalisches Institut GPI, Karlsruhe Institut für Technologie KIT, Karlsruhe