Mit Leptoquarks durch die große Wüste
Neue Erweiterung des Standardmodells liefert Kandidaten für Dunkle Materie und Neutrinomassen.
Wissenschaftler des MPI für Kernphysik haben eine neue Erweiterung des Standardmodells der Teilchenphysik vorgeschlagen. Der Ansatz erlaubt die Erzeugung von Neutrinomassen und liefert einen Kandidaten für die Dunkle Materie des Universums. Das Modell lässt sich zudem in einem Energiebereich testen, der heutigen Beschleunigern zugänglich ist.
Abb.: Energieskala des Mikrokosmos von Atomen (eV) bis zur Planck-Energie (1028 eV). Eine Vereinheitlichung mit der starken Kernkraft (Grand Unified Theory, GUT) wird bei 1025 eV erwartet. Dazwischen liegt über viele Größenordnung die „Wüste“ der Teilchenphysik. (Bild: MPIK)
Denn obwohl das Standardmodell zu den Grundlagen der modernen Physik gehört und seine Voraussagen sehr erfolgreich sind, ist es jedoch unvollständig, da es die Gravitation nicht enthält. Auch kann es die winzigen Massen der Neutrinos nicht erklären, liefert keinen Kandidaten für die Dunkle Materie und lässt offen, wie sich die verschiedenen Wechselwirkungen durch eine vereinheitlichte Theorie beschreiben lassen. Im frühen Universum muss es zudem eine kleine Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie gegeben haben, welche das Standardmodell nicht erklären kann.
Eine Schwierigkeit vieler alternativer Theorien besteht darin, dass ihre Vorhersagen einer experimentellen Überprüfung zugänglich sein müssen. Die Masse des kürzlich entdeckten Higgs-Teilchens entspricht 126 GeV und der weltweit größte Teilchenbeschleuniger LHC des CERN liefert Energien bis 14 TeV.
Als höchste sinnvolle Energieskala gilt die Planck-Energie bei 1028 Elektronenvolt, also noch einmal 15 Größenordnungen über der LHC-Energie. In einigen Erweiterungen des Standardmodells ist das Proton nicht mehr stabil; dessen Zerfall wurde aber bisher nicht beobachtet. Damit verträgliche Theorien müssen den Zerfall daher unterdrücken. Die Energieskala, auf der man „neue Physik“ erwartet, liegt dann bei 1024 Elektronenvolt – also experimentell in praktisch unüberbrückbarer Ferne. Die Teilchenphysiker sprechen hier von der „großen Wüste“.
Michael Dürr und Pavel Fileviez Pérez aus der Abteilung von Manfred Lindner am Heidelberger MPIK haben nun gemeinsam mit Mark Wise vom Caltech eine Erweiterung des Standardmodells vorgeschlagen, die diese Schwierigkeit vermeidet. Sie ermöglicht eine Verletzung der Erhaltung der Baryonenzahl und Leptonenzahl, ohne gleichzeitig eine mit der Beobachtung unverträglich kurze Lebensdauer des Protons zu bedingen.
Als Konsequenz des neuen Modells ergeben sich neue Teilchen, die sowohl Baryonen- als auch Leptonenzahl tragen und deshalb Leptoquarks genannt werden. Es erlaubt die Erzeugung von Neutrinomassen und kann möglicherweise die Asymmetrie von Materie und Antimaterie im Universum erklären. „Unser Modell ist zudem testbar, beispielsweise am LHC, da die Symmetriebrechung schon auf der Teraelektronenvolt-Skala stattfinden kann und sich eine ‚große Wüste‘ erübrigt“, erläutert Dürr. Das leichteste neue Teilchen ist stabil und damit ein Kandidat für Dunkle Materie. Über die Neutrinomasse ergeben sich indirekt Vorhersagen für den neutrinolosen Doppelbetazerfall. Im Hinblick darauf sehen die theoretischen Physiker sehr gespannt den zukünftigen Ergebnissen der Experimente XENON und GERDA entgegen, an denen ihre Heidelberger Kollegen beteiligt sind.
MPIK / DE