Mit Tesafilm nach Stockholm
Zwei deutsche Graphen-Experten beleuchten die Hintergründe des diesjährigen Physik-Nobelpreises, der heute in Stockholm feierlich verliehen wird.
Physik Journal – zwei deutsche Graphen-Experten beleuchten die Hintergründe des diesjährigen Physik-Nobelpreises, der heute in Stockholm feierlich verliehen wird.
Gekrönte Häupter, Fracks und festliche Roben, ein streng geregeltes Protokoll und ein mehrgängiges Menü für über tausend handverlesene Gäste, die Verleihung des Nobelpreises dürfte die eindrucksvollste Zeremonie in der Welt der Wissenschaft sein, und das nicht nur für Physiker, die eher ein legeres Auftreten gewöhnt sind. Heute nach 16:30 Uhr empfangen auch Andre Geim und Konstantin Novoselov aus den Händen des schwedischen Königs Carl XVI. Gustav die Urkunde und Medaille für den Physik-Nobelpreis 2010.
Das besondere am diesjährigen Nobelpreis für Physik ist nicht nur, dass einer der beiden Preisträger, nämlich Konstantin Novoselov, mit 36 Jahren noch sehr jung ist, sondern dass die ausgezeichneten wissenschaftlichen Leistungen gerade einmal sechs Jahre zurückliegen. 2004 ist es einer Arbeitsgruppe unter der Leitung von Andre Geim und Konstantin Novoselov gelungen, eine einzelne Lage Graphit, das so genannte Graphen, mit Hilfe eines handelsüblichen Klebestreifens zu extrahieren. Darüber berichten die beiden Physiker Patrik Recher und Björn Trauzettel von der Universität Würzburg im Dezember-Heft des Physik Journals.
Abb.: Andre Geim (links) und Konstantin Novoselov von der Universität Manchester (Bild: U Manchester)
Innerhalb von knapp sechs Jahren hat sich die Graphen-Forschung zu einem blühenden Forschungsgebiet entwickelt. Der Boom sowohl in der experimentellen als auch der theoretischen Festkörperphysik hält bis heute an und strahlt in andere Teilgebiete der Physik und Chemie aus. Nicht zuletzt versprechen sich die Forscher auch neue Anwendungen der außergewöhnlichen elektronischen und mechanischen Eigenschaften des dünnsten „Materials des Universums“.
Die Begründung des Nobelkomitees, den diesjährigen Preis für Physik an Geim und Novoselov zu vergeben, ist allerdings auf Kritik eines Kollegen gestoßen. Der Physiker Walt de Heer vom Georgia Institute of Technology bemängelte fachliche Fehler im Text zum wissenschaftlichen Hintergrund. So zeige ein Diagramm nicht die elektronischen Transportmessungen an Graphen, sondern nur von ultradünnem Graphit, also mehreren Lagen Graphen. Außerdem, betonte de Heer, habe es seit den 1960er-Jahren keine Zweifel an der Möglichkeit gegeben, Graphen experimentell herzustellen. Dafür ließen sich keine Belege finden.
Mit der Kritik de Heers sind keine Prioritätsansprüche verbunden. In der Kontroverse um de Heers Kritik wurde jedoch auch die Bedeutung der Arbeiten von Philip Kim von der Columbia University in New York diskutiert. Kims Arbeitsgruppe hatte wie die Gruppe um Geim und Novoselov 2005 in der gleichen Ausgabe von Nature ein Paper zur elektronischen Struktur von Graphen veröffentlicht. „Kim hat einen wichtigen Beitrag geleistet und ich hätte den Preis gerne mit ihm geteilt“, sagte Geim dazu.
Die fachliche Kritik von Walt de Heer dürfte die Nobelpreis-Feierlichkeiten wohl kaum überschatten. Und so wird es wohl wieder eine rauschende Gala der Wissenschaft werden, die wie jedes Jahr bis in die Morgenstunden dauern und mit dem Tanz von 200 Studentinnen und Studenten ausklingen wird, welche die Teilnahme an der Feier in einer Lotterie gewonnen haben.
Alexander Pawlak