Man stelle sich vor, die einzelnen Atome eines Moleküls ließen sich während einer chemischen Reaktion beobachten – diese Fähigkeit würde bisher unerreichte Einsichten bieten, mit denen sich diese Prozesse besser verstehen und möglicherweise kontrollieren ließen. Doch die Idee, den Aufbruch oder die Umwandlung von Molekülen zu beobachten, setzt voraus, alle Atome, die das Molekül bilden, mit subatomarer räumlicher Auflösung innerhalb weniger Femtosekunden zu verfolgen. Vor zwanzig Jahren wurde erstmals vorgeschlagen, die Elektronen des Moleküls selbst zu nutzen, um seine Struktur abzubilden: Man bringe dem Molekül also bei, ein Selfie von sich zu schießen.
Abb.: Schematische Darstellung des Aufbruchs einer molekularen Bindung in Acetylen. (Bild: ICFO / Scixel)
Jetzt gelang Forschern des Institute of Photonic Sciences ICFO in Barcelona, des MPI für Kernphysik sowie weiterer Institutionen in Deutschland, den Niederlanden, Dänemark und den USA hierzu ein entscheidender Durchbruch. Dem Team gelang die Abbildung des Aufbruchs einer chemischen Bindung in Acetylen innerhalb von neun Femtosekunden, nachdem das Molekül ionisiert wurde. Die Forscher verfolgten sämtliche Atome in einem einzelnen Acetylen-Molekül mit einer räumlichen Präzision von 0,05 Ångström mit einer zeitlichen Präzision von 0,6 Femtosekunden. Dabei konnten sie den Aufbruch einer bestimmten einzelnen Bindung des Moleküls auslösen und beobachten, wie ein Proton das Molekül verlässt. Nachdem das Team gezeigt hat, dass die erforderliche räumliche und zeitliche Auflösung ausreicht, um Schnappschüsse der molekularen Dynamik zu erhalten, möchten die Forscher das Verfahren auf andere Moleküle wie Katalysatoren oder biologisch relevante Systeme anwenden.
Die beteiligten Wissenschaftler in Barcelona entwickelten eine ultraschnelle Laserquelle für den mittleren Infrarot-Bereich und kombinierten diese mit einem Reaktionsmikroskop. Dieses erlaubt eine kinematisch vollständige Erfassung der dreidimensionalen Impulsverteilung der freigesetzten Elektronen und Ionen in Koinzidenz. Es werden also alle geladenen Bruchstücke des Moleküls gleichzeitig nachgewiesen und der Reaktion zugeordnet. Entwickelt und gebaut wurde das Reaktionsmikroskop am MPI für Kernphysik. Hier wurde diese Art der Impulsspektroskopie bereits seit Jahren erfolgreich zur Untersuchung zeitaufgelöster Moleküldynamik in starken Laserfeldern eingesetzt. Im Experiment am ICFO richten die Forscher zunächst ein einzelnes Acetylen-Molekül mit einem kurzen Laserpuls räumlich aus und ionisieren es dann mit einem zweiten, ausreichend starken Laserpuls.
Das freigesetzte Elektron wird vom Laserfeld wieder zum Ursprungs-Molekül zurückgetrieben, wobei es an diesem streut – alles innerhalb von neun Femtosekunden. Aufgrund seiner quantenmechanischen Welleneigenschaft bildet das Elektron bei diesem Streuprozess das gesamte Molekül ab und erlaubt so eine Rekonstruktion von dessen Struktur. Wie Forscher zeigen konnten, ändert die Orientierung des Moleküls relativ zur Richtung des elektrischen Feldes des Lasers ganz grundlegend die Dynamik der Reaktion. Bei paralleler Ausrichtung wurde eine Vibration des Moleküls entlang der Feldrichtung beobachtet, während bei senkrechter Ausrichtung eine der C–H-Bindungen aufbrach.
MPIK / RK