03.03.2020

Moleküle aus Licht

Elektromagnetische Solitonen können miteinander Verbindungen eingehen.

Mobile Kommunikation, Live-Streaming von Filmen aus dem Internet und Satelliten­navigation wären ohne Licht unvorstellbar. Denn es ist Licht, das die höchsten Daten­übertragungs­raten über lange Distanzen ermöglicht. Zudem zählt Licht zu den präzisesten und effizientesten Werkzeugen, die der Menschheit zur Verfügung stehen. Ein Team des Exzellenz­clusters PhoenixD der Leibniz Universität Hannover erwartet daher, dass die einzigartigen Eigenschaften des Lichts künftig für zahlreiche neue Funktionalitäten genutzt werden können, die vor einiger Zeit noch undenkbar erschienen. 
 

Abb.:  Zeitliche Entwicklung des Feldes: in grün das elektrische Feld, in rot...
Abb.: Zeitliche Entwicklung des Feldes: in grün das elektrische Feld, in rot das Intensitätsprofil. (Bild: O. Melchert et al. / APS)

Damit das gelingt, muss Licht präzise kontrolliert und manipuliert werden, und das möglichst auf kleinsten Skalen. Das ist nicht einfach und wird nur erreicht, wenn die nötigen Bedingungen dafür vorliegen: kurze Impulse, hohe Intensitäten und geeignete Materialien, wie zum Beispiel optische Glasfasern, durch die das Licht hindurch gelenkt und in Netzwerken verteilt werden kann. 

Aus diesem Grund hat die PhoenixD-Forschungsgruppe zusammen mit Partnern der ITMO Universität in Sankt Petersburg und der Universität Rostock optische Solitonen ins Zentrum ihrer Forschung gestellt. Das sind spezielle Licht-Wellenpakete, die sich im Wesentlichen ohne Änderung ihrer Form und Eigenschaften durch Glasfaser fortbewegen. Entdeckt hatte dieses Prinzip 1834 der Ingenieur John Scott Russell in einem ganz anderen Medium – Wasser. Russel beobachtete in einem schottischen Kanal Wasserwellen, die sich scheinbar ohne Verluste kilometerweit ausbreiteten. 

Die Hannoveraner Forscher konnten nun das erste Mal zeigen, dass solche Solitonen mit Licht unterschiedlicher Farbe unter Kollision ein besonderes Verhalten zeigen, welches dazu genutzt werden kann, sie miteinander zu verschmelzen. Dadurch entsteht eine neue Art von gebundenen Zuständen: Licht­moleküle. Diese Moleküle wiederum, so zeigen die Forscher, sind sehr robust gegenüber Störungen und können unter gewissen Bedingungen auch selbst wieder Licht abstrahlen. Damit erfüllen sie besondere Bedingungen zur Realisierung von optischen Funktionen wie etwa optischen Schaltern oder Übertragungs­netzwerken für Informationen. „Die Übertragung einfacher quantenmechanischer Konzepte erlaubt uns, die hier gefundenen komplexen Phänomene der rein klassischen, nicht­linearen Optik effizient zu beschreiben und zu interpretieren“, sagt Ayhan Demircan vom Institut für Quanten­optik der Leibniz Universität Hannover, Leiter der Forschungs­gruppe. 

Die Lichtmoleküle werden im Gegensatz zu den allgegenwärtigen Materie-Molekülen, die aus einzelnen Atomen aufgebaut sind, durch einzelne Solitonen zusammen­gesetzt. Dabei werden künstliche Licht-Zustände erzeugt, die es in der Natur nicht gibt. Durch die Kontrolle über diesen neu entdeckten Mechanismus ergeben sich vielfältige Anwendungsmöglichkeiten: Beispielsweise ist zu erwarten, dass damit eine bessere Kommunikation mit vielfach höherer Daten­über­tragungs­rate realisiert werden kann. Die gewonnenen Erkenntnisse könnten auch eine wichtige Basis für das Internet der Zukunft – das Quanteninternet, den Quanten­computer oder neue abhörsichere Verschlüsselungs­verfahren sein. Zudem bietet sich die Möglichkeit, die gefundenen Effekte, die bisher nur auf großen Distanzen denkbar waren, auf integrierten, optischen Mikrochips zu realisieren. 

Mit der neuen Arbeit wurden zunächst die theoretischen Grundlagen für die neuartigen Lichtmoleküle geschaffen. Dadurch ist es möglich, die relevanten Prozesse effizient zu beschreiben und besser zu verstehen. Die Experten sprechen in diesem Zusammenhang von einer nichtlinearen klassischen Feldtheorie, die sie speziell dafür ausgearbeitet haben. Der gefundene Mechanismus war bislang gänzlich unbekannt. „Unsere Entdeckung eröffnet ein neues reichhaltiges Feld in einem etablierten Forschungs­gebiet und es sind zahlreiche Folge­arbeiten zu erwarten, die sich mit den vielen noch offenen Frage­stellungen befassen“, sagt Oliver Melchert, Erstautor der Studie und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Quanten­optik der Leibniz Universität Hannover. 

Aufgrund der technischen Herausforderungen wäre es bislang nicht möglich gewesen, den nun entdeckten Mechanismus experimentell im Labor zu realisieren. Erst durch die rasanten Entwicklungen in der Optik der vergangenen Jahre stehen jetzt geeignete Laser­quellen, Materialien und auch Prozesse zur Verfügung, um solche Wechsel­wirkungen zwischen Lichtimpulsen zu generieren und für konkrete Anwendungen einzusetzen. Im nächsten Schritt sollen die Ergebnisse der theoretischen Studie im Labor experimentell umgesetzt und die dazu notwendige Mess­technik entwickelt werden. Weitere spannende Erkenntnisse seien dabei zu erwarten, sagt Melchert. „Unsere Arbeit ist ein ideales Beispiel für rein durch wissenschaftliche Neugier getriebene Forschung, die zunächst zu neuen Erkenntnissen im Grundlagen­bereich führt, aus der sich jedoch sehr oft neuartige Anwendungen mit enormen Potenzial ergeben“, sagt Bernhard Roth vom HOT – Hannoversches Zentrum für Optische Technologien, der ebenfalls an der Studie beteiligt war. 

U. Hannover / DE
 

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